Armee beherrscht Bangladesch

■ Entwicklungshilfe Bestandteil des Staatsapparats/ Armee Staat im Staate

Berlin (taz) — Seit der Staatsgründung von Bangladesch haben sich vier große Katastrophen ereignet: die von 1970, 1975, 1988 und 1991. Zusammengerechnet kamen dabei ungefähr eine bis 1,5 Millionen Bengalen um. Sie ertranken, verhungerten oder starben durch anschließende Seuchen. Während diejenigen von 1970, 1988 und 1991 in unmittelbarer Beziehung zu einem Unwetter oder einem Wirbelsturm standen, war dies 1975 nicht der Fall. Es kam damals zu einer Hungersnot, bei der etwa 300.000 Menschen starben, weil Weizen als Waffe eingesetzt wurde.

In der ganzen Geschichte Bangladeschs ist eine Grenzziehung zwischen In- und Ausland kaum möglich. Zu sehr ist die „Internationale Entwicklungshilfe“ ein fester Bestandteil des Staatsapparates, der gesamten Wirtschaft des Landes. Die Geberländer tragen somit eine direkte Verantwortung für das Land.

Voraussetzung für den in Bangladesch als „second liberation“ bezeichneten Sturz des Erschad-Regimes war die Entscheidung der Armeeführung im Dezember 1990, Erschad zu verhaften und die Demonstrationen nicht gewaltsam aufzulösen. Seit der Machtübernahme durch General Zia ur Rahman 1975 ist die Armee zu einem Staat im Staate geworden: Sie verdoppelte ihre Größe auf zur Zeit 220.000 Soldaten. Offiziell entfallen auf den Militärsektor 15 Prozent des Budgets, Experten schätzen mehr als 30 Prozent. Dienstwagen, Dienstvillen, Extra- Schulen für Kinder, Sportanlagen etc. zählen zu den Privilegien. Fast alle Botschaften sind inzwischen von Armeeangehörigen besetzt, haben hohe Verwaltungsposten; Direktorenposten von privatisierten ehemaligen Staatsbetrieben sind zu 90 Prozent von Generälen oder Offizieren besetzt. Der Staatsapparat wurde zu einem Selbstbedienungsladen der Armee. Seit der Gründung Bangladeschs gab es einen Konflikt innerhalb der Armee zwischen den aktiv am Befreiungskrieg 1971 beteiligten Soldaten und denjenigen, die während des Krieges, aus Zufall oder bewußt, sich nicht in Bangladesch, sondern in Pakistan aufgehalten hatten. Die als „Repatriierten“ bezeichneten Soldaten und Offiziere mit ihren engen Verbindungen zur pakistanischen Armee hatten andere Vorstellungen von den Rechten einer Armee und orientierten sich an der Rolle, die die Armee in Pakistan wahrnahm. Zia ließ kurz nach der Machtübernahme mehrere hundert Offiziere, die Verfechter der sozialistischen Ideale des Befreiungskrieges waren, hinrichten. Er wurde von Mansur ermordet, der die Zurückdrängung der Befreiungskämpfer innerhalb der Armee verhindern wollte. Nach der Ermordung setzte sich jedoch General Erschad beim Machtkampf innerhalb der Armee durch, ein Repatriierter, ein Vertreter der konservativen Militärs.

Er wird als der „reichste Präsident des ärmsten Landes“ und als „Marcos Bangladeschs“ bezeichnet. Seine Ehefrau zog es vor, private Unternehmungen mit der Regierungsmaschine, einer DC 10, durchzuführen. US-Zeitungen schätzten bereits vor Jahren sein Privatvermögen auf 200 Millionen US-Dollar. Er baute viel stärker als Zia die Armee als alleinige Machtbasis aus. Ohne Skrupel griff er nach Privilegien für sich und seine Generäle und Offiziere. Er konnte neun Jahre regieren, weil er im Gegensatz zu Zia kaum Feinde innerhalb der Armee hatte.

In einem kaum beachteten Kleinkrieg zwischen den bewaffneten Einheiten der „Schanti Bahini“, einer Guerillaorganisation der Bergstämme Bangladeschs, und der Armee starben in den letzten 15 Jahren 200.000 Bewohner der Chittagong Hill Tracts. Noch heute leben über 50.000 Flüchtlinge in den angrenzenden indischen Bundesstaaten.

Der jetzige Armee-Oberbefehlshaber Nooruddin Khan, der lange Zeit als Ingenieur in der Armee arbeitete, und andere Generäle stehen Zias Tradition nahe, die Armee nicht zu tief einzubinden in die Tagespolitik, sondern als „neutrale Armee“ sich im Hintergrund zu halten. Die Armeeführung unter Khan befürchtete, daß sich die Volksbewegung gegen Erschad schließlich auch gegen die Armee richten würde. Villen von Offizieren in den Außenbezirken von Dhaka wurden angegriffen und zerstört. Dies löste innerhalb der Armee die Diskussion aus, entweder massiv die Armee einzusetzen, auf Studenten zu schießen — Erschads Flügel setzten sich hierfür ein — oder aber grünes Licht für einen rechtzeitigen Übergang zu einer zivilen Regierung zu geben. Letztere Position setzte sich in der Armee durch.

Der Widerstand gegen das autokratische Regime Erschads zog sich über drei Jahre hin, Tausende von Oppositionellen wurden verhaftet, Hunderte auf der Straße erschossen. Die Opposition der zwei bürgerlichen Blöcke, der Awamiliga unter Sheik Hasin und BNP unter Khaleda Zia mit nur geringen programmatischen Unterschieden, haben sich bei dem Versuch, Erschad zu stürzen, lange gegenseitig blockiert aus dem Mißtrauen heraus, daß der jeweils andere Block daraus Vorteile ziehen könnte, und aus Vorsicht, die Bevölkerung zu sehr zu mobilisieren gegen Korruption und Vetternwirtschaft, da in beiden Blöcken die Interessen der reichen städtischen und ländlichen Klassen dominieren. Dieter Reinhardt