Armee-Abzug: Nordirland nicht mehr Kampfzone
Nach 38 Jahren beendet das britische Militär seinen längsten Einsatz. Es hinterlässt 5.000 Soldaten und eine stabile Autonomieregierung.
DUBLIN taz Es war der längste Kampfeinsatz in der Geschichte der britischen Armee, er dauerte 38 Jahre. Um Mitternacht übernahm die Polizei in Nordirland wieder die Verantwortung für die Sicherheit in der britischen Krisenprovinz. Es war allerdings eher ein formeller Akt, denn die Soldaten sind schon seit vorigem Jahr keine Patrouillen mehr gefahren.
Lediglich 5.000 Soldaten bleiben in Nordirland - "die übliche Garnisons-Stärke in Friedenszeiten", wie ein Armeesprecher sagte. 1972, zum Höhepunkt des Konflikts, waren 27.000 Mann in mehr als hundert Kasernen stationiert. Zum Schluss waren es noch 10.500 Soldaten. Gut die Hälfte wird wohl nach Afghanistan oder in den Irak verlegt, nachdem sie bei den Aufräumarbeiten nach den Überschwemmungen in England geholfen haben.
Der ehemalige Armeechef General Michael Jackson sagte, der Einsatz in Nordirland sei nicht nur der längste, sondern auch einer der wichtigsten gewesen. "Einer der ganz wenigen auf britischem Boden", fügte er hinzu, "und einer der ganz wenigen, die von den bewaffneten Kräften eines entwickelten Landes gegen irreguläre Kräfte zu einem erfolgreichen Ende gebracht worden sind." Das muss er als ehemals höchster Offizier wohl behaupten. In Wirklichkeit war der britische Militäreinsatz in Nordirland keineswegs erfolgreich.
Der Sommer 1969 war von schweren Auseinandersetzungen geprägt. Die Bürgerrechtsbewegung hatte gleiches Wahlrecht sowie gerechte Wohnungs- und Jobvergabe gefordert. Bis dahin durften bei Kommunalwahlen nur Hausbesitzer wählen, und das waren überwiegend Protestanten. Viele von ihnen waren bereit, ihre Privilegien gewaltsam zu verteidigen. Ihre Milizen, unterstützt von der fast ausschließlich protestantischen Polizei, überfielen katholische Viertel, bis deren Bewohner Barrikaden errichteten.
Am 14. August 1969 entsandte die Londoner Regierung Truppen nach Nordirland, um die beiden Seiten zu trennen. Die "Operation Banner", so glaubte man, würde nur wenige Monate dauern. Die Soldaten wurden von der katholischen Minderheit zunächst freudig begrüßt, hielt man sie doch für neutral. Doch schon bald wurde klar, dass die Armee den Status quo verteidigen sollte, und zwar mit allen Mitteln. Als die Soldaten 1972 in Derry 14 unbewaffnete Bürgerrechts-Demonstranten ermordeten, wurde die Armee endgültig zum Teil des Problems. Heute weiß man, dass der militärische Geheimdienst Agenten beschäftigt hat, die an Morden, Waffenschmuggeleien und Bombenanschlägen beteiligt waren.
Im Verlauf des Konflikts sind mehr als 3.500 Menschen ums Leben gekommen, darunter 763 britische Soldaten. Der letzte, der starb, war Stephen Restorick, der im Februar 1997 von einem IRA-Heckenschützen erschossen wurde, obwohl der Friedensprozess damals bereits weit fortgeschritten war. Die Erkenntnis, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt geben konnte, hatte sich schon Mitte der achtziger Jahre sowohl bei der britischen Regierung, als auch bei der IRA durchgesetzt.
Die daraus resultierenden Verhandlungen mündeten am Karfreitag 1998 in das Belfaster Abkommen, das eine Regionalregierung unter Beteiligung aller Parteien vorsah. Doch es dauerte weitere neun Jahre, bis eine stabile Regierung zustande kam. Ausgerechnet die Erzfeinde von Sinn Féin ( "Wir selbst"), dem politischen Flügel der IRA, und der Democratic Unionist Party des radikalen Protestantenpfarrers Ian Paisley einigten sich im Mai auf eine Machtteilung, nachdem sich die IRA quasi aufgelöst hatte.
Die Situation in Nordirland sei für den Truppenabzug nun stabil genug, lautet die offizielle Begründung. In Wirklichkeit ist es der Mangel an Rekruten. Mehr als 12.000 Soldaten sind in Afghanistan und im Irak stationiert. In einem geheimen Memorandum des britischen Oberkommandanten General Richard Dannatt, das der Presse zugespielt wurde, heißt es, die Armee sei überstrapaziert: "Wir haben nicht das Potential, um auf unerwartete Situationen zu reagieren." In Nordirland gibt es keine unerwarteten Situationen mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“