Argumente gegen die Ladenöffnung: Rettet den Sonntag!
In Karlsruhe beraten die Verfassungsrichter am Dienstag über die Klage der Kirchen gegen die Ladenöffnung am Sonntag. Auch wer ihre Argumente nicht teilt, kann die Zeit besser nutzen als zum Einkaufen...
...denn man muss nicht gläubig sein, um an die wohltuende Reduktion auf das Wesentliche zu glauben. Sechs gute Gründe für die Ruhe am siebten Tag.
VON JUDITH LUIG, DANIELA ZINSER, DAVID DENK
Sonntagspredigten: Egal, welcher Konfession, Sonntagspredigten haben ein bisschen etwas von einem Konzert: Da im Grunde nichts gesagt wird, muss man auch gar nicht genau hinhören und kann einfach in den Sound abtauchen. Dabei muss man still sitzen, so verlangen es Tradition und die aufmerksame Nachbarschaft, und man muss die Klappe halten. Beides Dinge, die der moderne Mensch im Alltag nicht mehr unbedingt trainiert und die deswegen auch nicht mehr ordentlich gekonnt werden. Je nach Pfarrer dauert so eine Sonntagspredigt ähnlich lang wie eine Meditation, und man kann das Kommunikationsverbot für wilde Assoziationsketten nutzen. Würde es mir eigentlich stehen, wenn ich mir die Nägel "french" maniküren würde? Warum heißt das überhaupt "french"? Warum wohne ich eigentlich nicht in Paris? Zwischendurch durchbricht der Pfarrer mit ein bisschen Donner von der Kanzel (die sind ja auch rhetorisch geschult) den Gedankenschwall: "Da, finde ich, ist Jesus einfach ein Supertyp." Supertyp? Jesus? Hm. Seltsame Anbiederung an die Jugendsprache, die der Pfarrer da oben betreibt. Aber Supertyp trifft zu - zumindest für den Dunkellockigen in der zweiten Reihe links. Schöner ist es natürlich, wenn man während so einer länglichen Predigt ein bisschen klügere Dinge denkt. Aber das ist eben nicht jedem gegeben. Zumindest nicht am Sonntag. JUL
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Brunchen: Es ist die vielleicht sinnloseste Tätigkeit, mit der man seinen Sonntag beginnen und verbringen kann. Das Brunchen oder der Brunch, diese einseitig hin zum Frühstück (Breakfast) verlagerte Kombination von eben jenem mit Mittagessen (Lunch) ist die reine Verschwendung. Von Zeit, von Geld, von Lebensmitteln, von klugen Gedanken und all den Möglichkeiten, die sich sonst so böten. Genau das ist sein Sinn. Denn natürlich könnte man auch einfach aufstehen, am zugekrümelten Küchentisch eingeschweißten Lachs aus der Folie und zu sich nehmen, um dann loszueilen hinaus in die Welt. Stattdessen aber bleibt man lieber sitzen. Irgendwo im Café, wo unbedingt vorher zu reservieren ist, sonst bleibt nur ein Platz vor dem Klo oder vor der Tür. Denn dort, im Café, gibt es auch Lachs, dazu Mozarella mit Tomaten, frisches Obst, diverses Salatzeug und reichlich Eingelegtes, am Ende irgendwas Warmes. Häufig ist das Buffet zwar irgendwie doch enttäuschend und es war bei XY letzten Sonntag so viel mehr von dem leckeren eingelegten Irgendwas da und die Wurst war irgendwie auch frischer. Ach, und schon wieder zu viel von den Antipasti gegriffen, die jetzt alles einölen, der Fisch ist schon wieder alle und schon wieder ist der Bauch zu voll für den nächsten Gang. Also bleibt man sitzen. Verschwendet die Zeit - und tut in aller Ruhe etwas, wozu sonst viel zu wenig Gelegenheit besteht. Man unterhält sich, und zwar richtig. Gut sogar, im Idealfall. Das geht nur sonntags, beim Brunch. DAZ
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H-Milch: Ja genau. Sie haben richtig gelesen: durch Ultrahocherhitzung haltbar gemachte Milch. Oder genauer gesagt der Einkauf derselben. Das ist ein Sonntagsgefühl. Vielleicht ein geschmacklich nicht besonders hochstehendes, zugegebenermaßen. Sondern eher ein angenehmer Ausdruck der Reduktion auf das Wesentliche. Unter der Woche würde man H-Milch nie kaufen, vor allem nicht ausschließlich. Da wird jeder Gang in den Supermarkt oder in den Bioladen per Liste geplant, und man sammelt natürlich nur ideologisch vertretbare Frischmilch und dazu noch etliche andere Dinge, mit denen man sich sinnvollerweise die Woche über ernährt. Der Sonntag steht über dieser Vernunft. Gibt es nur Späti, Büdchen, Trinkhalle, oder wie auch immer der Kiosk regionalen Gewohnheiten folgend genannt wird, kann man sich ohne moralische Selbstvorwürfe einfach nur eine Tüte H-Milch für den Mittagskaffee schnappen, in Ruhe ausnüchtern und sich abends zum "Tatort" eine Pizza Salami mit extra Käse vom Bringdienst geben. Außerdem haben Kioske so eine wunderbare eigene Kioskkultur: Da trifft sich das Viertel und tauscht Ansichten über den Jogginganzug der Thekenkraft, die Schlagzeile der Boulevardpresse und Sonstiges aus, was im Grunde niemanden so recht interessiert, aber einfach schön ist. Hätten die großen Läden sonntags auf, würde man das kaputt machen. JUL
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Putzen: Ich vermisse Jürgen König. Der melancholischste Radiomoderator unseres Kulturkreises mit einer Stimme wie Schmirgelpapier im Kaschmirpulli moderierte bis vor kurzem am Sonntag von 19 bis 21 Uhr bei RadioEins "Lost In Music". Die von König ausgewählte ausnahmslos traurige Musik passte perfekt zu der freudlosen Tätigkeit, der ich währenddessen nachging. Denn wenn ich nicht gerade telefoniere (s. unten), dann putze ich am frühen Sonntagabend meine Wohnung - allerdings immer nur vor 8. Danach kommen nämlich Freunde vorbei, mit denen ich mich fast jede Woche 90 Minuten lang über klischeehafte Krimidrehbücher ereifere und dabei mal mehr, meistens weniger Bier trinke. Weil ich aber tagsüber komischerweise viel lieber mit Cappuccino und Sonntagszeitung im Café sitze, anstatt auf den Knien durch meine Wohnung zu rutschen, reicht die Zeit sonntags nie für die längst überfällige Generalreinigung inkl. Fensterputzen (Freiwillige vor!). Wenn es gegen 8 an der Tür klingelt, ist die Wohnung meistens gerade so vorzeigbar - selten allerdings richtig sauber und aufgeräumt, ach was: eigentlich nie. Solange der "Tatort"-Zirkel trotzdem noch freiwillig zu mir kommt, wird sich daran auch nichts ändern - im Gegensatz zu meinen Hörgewohnheiten: Seitdem bei RadioEins am Sonntagabend keine traurige Musik mehr läuft, lege ich eine entsprechende CD ein. Nichts gegen die Nachfolgesendung "Rock n Roll Radio", aber putzen kann ich nur mit Untermalung in Moll. DENK
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Telefonieren: Wer bestimmte Sperrzeiten einhält - am wichtigsten 20.15-21.45 Uhr ("Tatort") - hat am frühen Sonntagabend gute Chancen auf ein entspanntes Gespräch, wenn er zum Hörer greift: Mama, Papa, Oma, Opa und all die Freunde, bei denen man sich schon ewig mal wieder melden wollte, sind in der Regel zu Hause und haben meistens auch nichts Unaufschiebbares vor, wobei man sie stören könnte - außer Putzen vielleicht (s. oben). Der Sonntag als Zwischenzeit, als Transitraum zwischen zwei Wochen, ist geradezu prädestiniert für diese ganz eigene Kombination aus Rückschau und Ausblick, die Sonntagabendtelefonate auszeichnet. Ein Zeitabschnitt ist vorbei, der nächste steht unmittelbar bevor - dass jeder Sonntag eine Art Mini-Silvester ist (ohne Besäufnis zwar und Böllerei), merkt man in diesen Gesprächen am deutlichsten. Hier wird aufgeräumt, was die Woche über liegen geblieben ist, und es werden Pläne für die nächsten Tage gefasst - auch gute Vorsätze, die aber handlicher sind als die zu Silvester und deswegen leichter umsetzbar. Am Sonntagabend wurde wohl schon so manche Beziehung beendet und so manche begonnen. Frisch Verliebte oder einander Beschnuppernde nutzen Sonntagabendtelefonate zur Annäherung, denn dabei kommen selbst Fragen leicht über die Lippen, die man von Angesicht zu Angesicht kaum gestellt hätte. DENK
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Heimatfilm: Schlaffschläfrig auf dem Sofa bietet das Fernsehen sonntagnachmittags die außergewöhnliche Möglichkeit zur Fortbildung. Irgendwo im Dritten läuft bestimmt einer, ein Heimatfilm, und mit ein bisschen Glück spielt Lieselotte Pulver mit. Dann ist es wie Telekolleg, Thema: Wie wird man eine kesse Frau? Wozu man das überhaupt werden will? Weil man so lernt, betrunken, peinlich, penetrant und trotzdem bezaubernd zu sein. Weil die Lieselotte die Tat lehrt, auch wenn die in so ziemlich jeden verfügbaren Schlamassel führt. Weil, wer ein bisschen seine Stimme trainiert, der kann ihr eine Lakonie geben, der nichts mehr was anhaben kann. Man erfährt viel über die Erotik des Lachens und des Oberschenkels, ob halbbedeckt oder in engen Männerhosen. Apropos, die Männer sind meist steif und ein bisschen überheblich, wie in "Ich denk so oft an Piroschka", als der "Herr Student" noch wer war. Aber die kesse Frau lockert und erdet ihn, nebenbei lernt er noch Ungarisch und den feinen Unterschied zwischen "dich" und "dir". Dass der Falsche unbedingt der Richtige ist, die Lektion gibt es in der "Zürcher Verlobung", und all die Filme aus dem Spessart bringen einem nicht nur Geister, sondern auch einen bis dahin unbekannten Landstrich nah. Fernsehen ist entspannende Bildung. Das geht nur am Sonntagnachmittag, auch nächsten gerne wieder, zur neuen Folge: Der galante Herr - Peter Alexander. DAZ
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