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Argentinien und die SchuldenNicht zahlungsunfähig, zahlungsunwillig

Kreditkrise? Geht am einstigen Pleiteland Argentinien fast spurlos vorbei. Denn es ist schon wieder so hoch verschuldet, dass es die aktuelle Krise kaum bemerkt.

Pleite, Dürre, Pleite - die fetten Jahre lassen in Argentinien weiter auf sich warten... Bild: dpa

BUENOS AIRES taz Ausgerechnet Argentinien fühlt sich von der Finanzkrise kaum betroffen. Warum? Das Land steht international so dermaßen in der Kreide, dass es keine neue Kreditkrise gibt. Außer Venezuelas Präsident Hugo Chávez leiht den ArgentinierInnen seit Jahren keiner mehr einen Cent. Das Wort von der Bankenkrise ist deshalb noch nicht im allgemeinen Wortschatz angekommen. Das ist auch nicht nötig, Vertrauen in Banken hat am Río de la Plata ohnehin niemand.

Gegenwärtig versucht die Regierung in Buenos Aires die Tilgung von rund 2,4 Milliarden US-Dollar der argentinischen Auslandsschulden neu zu regeln. Allein in diesem Jahr muss sie insgesamt 13,6 Milliarden Dollar zurückzahlen. Und das Rezept der Regierung ist wie immer zukunftgerichtet: Die Tilgung wird auf spätere Jahre verlegt. Erst vor wenigen Wochen hatte Buenos Aires verkündet, dass die Abtragung von zumindest 5,5 Milliarden Dollar nach Verhandlungen mit den Gläubigern bis ins Jahr 2014 verlängert wurde. Das hat seinen Preis: Im ersten Jahr beträgt der Zinssatz satte 15,5 Prozent, danach gibt es noch etwas obendrauf. Das summiert sich: Von den 38,4 Milliarden Dollar Schulden, die in den kommenden drei Jahren fällig werden, sind allein 11 Milliarden nur Zinsen. Noch immer kann die Regierung in Buenos Aires nicht vorrechnen, wie sie den Schuldendienst bewerkstelligen will.

In den Jahren der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 war die argentinische Auslandsverschuldung von 8,3 auf 45 Milliarden Dollar gestiegen. 1999, nach zehn Jahre Menem-Regierung, hatte die Verschuldung eine Höhe von 145 Milliarden Dollar erreicht. Und wieder knapp zehn Jahre später hat sich daran wenig geändert. Die gesamte argentinische Auslandsschuld beläuft sich nach Angaben des Wirtschaftsministeriums erneut auf mindestens 145 Milliarden Dollar.

Damit ist die Verschuldung in den letzten zwei Jahren sogar wieder angestiegen und liegt höher als im Krisenjahr 2001, als die Regierung des Expräsidenten Fernando de la Rúa aus dem Amt gejagt wurde. Die Nachfolgeregierung am Río de la Plata hatte das Land im Januar 2002 für zahlungsunfähig erklärt.

Heute ist Argentinien nicht mehr zahlungsunfähig. Viele halten das Land aber für zahlungsunwillig.

Dabei hat die Regierung auch Erfolge vorzuweisen. Anfang 2005 hatte der damalige Staatspräsident Néstor Kirchner privaten Gläubigern, denen Argentinien insgesamt 100 Milliarden Dollar schuldete, ein Umschuldungsangebot gemacht: Sie sollten einen Verlust von rund 75 Prozent ihrer Forderungen hinnehmen. Dreiviertel akzeptierten. Dazu noch die vorzeitige Rückzahlung der Schulden in Höhe von 9,8 Milliarden Dollar beim Internationalen Währungsfonds Ende 2005. Und auch die Devisenreserven der Zentralbank sind im Zuge des Wirtschaftswachstums zuletzt wieder gestiegen. Kaum meldeten die Zentralbanker 47 Milliarden Dollar an Reserven, kündigte Präsidentin Kirchner auch die Rückzahlung der 6,7 Milliarden Dollar Schulden beim Pariser Club an. Aber das ist bereits wieder unsicher, die Verhandlungen kommen nicht voran. Was hat das alles gebracht? Heute hat Argentinien so viele Schulden wie vor zehn Jahren. JÜRGEN VOGT

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3 Kommentare

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  • B
    Betrogener

    Die Regierung Nestor Kirchner hat diese auf ca. 125 Milliarden (September 2005) runtergehandelt.

     

    Was heißt hier runtergehandelt.

     

    Die Regierungen Kirchner haben tausende, die Argentinien vertraut und Geld geliehen haben um Ihre Ersparnisse betrogen.

     

    Niemand wir diesen Betrügern je wieder zu vernünftigen Konditionen Geld leihen.

     

    Und das ist auch richtig so.

  • M
    Manuel

    Einige Ergänzungen und Anmerkungen:

    Der Autor schreibt: „1999, nach zehn Jahre Menem-Regierung, hatte die Verschuldung eine Höhe von 145 Milliarden Dollar erreicht“ und „und wieder knapp zehn Jahre später hat sich daran wenig geändert“. Falsch!: 1999 betrug die Verschuldung knapp 122 Milliarden Dollar. Der Autor unterschlägt darüber hinaus leider, dass bis Dezember 2004 die Schulden auf 191 Milliarden angewachsen waren. Die Regierung Nestor Kirchner hat diese auf ca. 125 Milliarden (September 2005) runtergehandelt. Danach stieg der Schuldenstand wieder auf aktuell ca. 145 Milliarden. Ob diese Differenz aus Zinsen auf alte Schulden stammen (und wie weit diese legitim wären), oder neue interne Schulden sind oder wieviel genau aus Venezuela kommt, etc. müsste man mal genauer recherchieren. Wie auch immer, von 191 Milliarden auf 145 Milliarden ist aber schon eine kleine Änderung, oder?

    Der Autor schreibt:„Was hat das alles gebracht? Heute hat Argentinien so viele Schulden wie vor zehn Jahren“. Der Unterschied besteht darin, dass Argentinien heute, trotz aller zweifellos vorhandenen Probleme, erstmal besser dasteht als vorher. Warum? Beispielsweise betrug die Schuldenlast 2002 166,4% des BIP, Ende 2008 geschätzte 46,3%. Im Dezember 2004 waren 58,4% der Schulden Auslandsschulden. Ende 2008 ist dieser Anteil auf 40,1% gefallen. Sich in der eigenen Währung zu verschulden hat Vorteile: Beispielsweise erhöhen sich die Schulden nicht plötzlich durch Wechselkursschwankungen.

    Der Autor schreibt weiterhin:„Noch immer kann die Regierung in Buenos Aires nicht vorrechnen, wie sie den Schuldendienst bewerkstelligen will“ und „Heute ist Argentinien nicht mehr zahlungsunfähig. Viele halten das Land aber für zahlungsunwillig.“Daß die argentinische Regierung nicht gleich brav ihre ganzen Devisenreserven verpulvert, um ihre Schulden zu zahlen ist nur gut so - aus verschiedenen Gründen: Beispielsweise wirken diese als Airbag gegenüber der Weltwirtschaftskrise und geben der Regierung einen gewissen Handlungsspielraum. Darüber hinaus hat der Staat ja auch Ausgaben wie Gehälter, Sozialausgaben, etc. zu leisten. Diese Aufgaben gehen vor! Und selbst wenn die Regierung ihre Schulden schnell bezahlen wollte, könnte sie nicht so einfach. Dazu braucht sie ja erstmal mehr Einnahmen. Aber schon harmlose fiskalische Eingriffe wie beispielsweise eine Exporsteuer auf Agrarprodukte, deren Einnahmen dann auch in den Schuldedienst fließen könnten, provoziert die Agraroligarchie so sehr, dass sie gegen die Regierung mobilisiert - und das leider erfolgreich.

    Quelle: http://www.mecon.gov.ar/finanzas/sfinan/deuda_ultimo.htm (Daten des argentinischen Wirtschaftsministeriums)

  • B
    Bert

    Wenn eine Privatperson Schulden macht, liegt eine zuordenbare Verantwortung vor, z.B. zur Zurückzahlung.

     

    Wenn ein Staat Schulden macht, wer ist dann für die Rückzahlung verantwortlich? Vermutlich die Regierung und das Parlament, die die Schulden gemacht haben.

     

    Wenn aber nach einer Wahl sich das Parlament personell und politisch deutlich verändert und die Regierung wechselt, kann man diesen neuen Repräsentanten des Staates Verantowrtung für Schulden einer früheren Regierung zuschreiben? Kann man gar Jahrzehnte später einer jungen Generation Verantwortung für alte Schulden zuschreiben?

     

    Hat nicht gerade Argentinien, wie Berthold Brechts "Neinsager" endlich einmal gezeigt, dass sich ein Land nicht für alles verantwortlich machen lassen muss. Nicht alle Schulden gehen die gegenwärtigen Menschen an. Die Welt geht nicht unter, wenn Schulden nicht zurückgezahlt werden, noch weniger, wenn zumindest keine Zinsen bezahlt werden.

     

    Freilich wäre es am besten, auf Schuldenmacherei von vornherein zu verzichten und ein Verschuldungssystem erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dann gäbe es auch keine Spekulationsblasen und weniger Finanzkrisen. Die erfolgreichsten Unternehmen sind und bleiben diejenigen, die nur auf Basis erzielter Gewinne investieren und Reserven halten. "Heuschrecken" haben solche Seriosität noch vor zwei Jahren als "totes Kapital" verspottet; jetzt ist es die Rettung für all diejenigen Unternehmen, die nicht auf die "Heuschrecken" hereingefallen sind.