JUNI: DEUTSCHLAND WIRD VIZEWELTMEISTER IM HERRENFUSSBALL
: Die Geschichte aus der Sicht des Verlierers

Ethnologen behaupten, der Torerfolg im Fußball stehe für die Schändung der Frauen des feindlichen Stammes. Bild behauptet, afrikanische Mannschaften schössen so wenig Tore, weil man sich in Afrika keine Netze leisten könne und deshalb immer so weit nach dem Ball rennen müsse. In Deutschland hingegen hat immer nur das Ergebnis gezählt. Die Geschichte wird schließlich von den Siegern geschrieben. Die Welt hat uns nie dafür bewundert, aber immer dafür respektiert, dass wir am Ende unverdientermaßen oben standen.

Liegt es am Alter? Jedenfalls haben sich bei mir in diesem Jahr zum ersten Mal Zweifel eingeschlichen. Als Oliver Kahn wieder einmal sagte, dass es „keinen Schönheitspreis zu gewinnen gibt“, dass man „solche Spiele einfach abhaken muss“, dass „am Ende abgerechnet wird“, regte sich leiser Widerspruch. Warum soll eigentlich nur das Ergebnis zählen? Wäre es nicht genauso schön, einmal Liebling der Massen zu sein, auch wenn man am Ende unterm Schafott landet? Das Problem ist wahrscheinlich, dass wir immer noch glauben, das Weibchen würde sich immer für das dominanteste Männchen entscheiden. In Wirklichkeit entscheiden sich heute Millionen Weibchen für das unterhaltsamste Männchen.

Der einzige Grund, im Finale für die Deutschen zu sein, war noch ein gewisser Trotz, weil man wusste, dass der Rest der Welt für Brasilien war. Nur weil sich deren Spieler als relaxte Strandfußballer verkaufen, als die sie doch in keiner europäischen Liga lange bestehen könnten. Aber wenn man ehrlich war, war man neidisch auf ihr Image, weil sie damit in jeder Disko vorn liegen würden.

Sicher, Fußball ist Männersache, aber je mehr er zum Showgeschäft wird, umso mehr gewinnt auch hier die weibliche Perspektive an Bedeutung. Der Weg ist das Ziel. Dass auch ein sauberes Tackling seinen ästhetischen Wert hat, kann man den Frauen ja noch erklären.

JOCHEN SCHMIDT