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Die Enron-Pleite in den USA zeigte, dass die New Economy die demokratische Verfassung sprengt

von HANNES KOCH

„Ganz klein am Horizont kann man Dinge sehen, Dinge, die wir nicht verstehen“ (die Band Tocotronic)

Am 2. Oktober 2002, einem Mittwoch, führen Polizisten einen schlanken, gut aussehenden, glatt rasierten Weißen in Krawatte und Anzug zum Gerichtsgebäude in Houston, Texas. Dem Sohn wohlhabener Eltern steht alle Demütigung dieser Welt ins Gesicht geschrieben. Die Polizisten schieben ihn mehr, als dass er selbst geht, seine Hände sind mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Eine unnötige Prozedur, Andrew Fastow hatte sich freiwillig gestellt.

Diese Augenblicke, transportiert von Zeitungen und Nachrichtensendungen, wirkten wie ein Gongschlag für die Wirtschaftseliten dieser Welt. Der 40-jährige Fastow hatte bis Dezember 2001 als Finanzchef des Energiehandelsunternehmens Enron in Houston amtiert, wo er, wie vor Gericht mittlerweile geklärt wird, den wohl spektakulärsten und bis dahin größten Bankrott der US-Geschichte mitverursacht haben soll. Fastow droht eine Strafe von mehr als 100 Gefängnisjahren für Betrug und weitere Delikte.

Enron war ein Star der New Economy. Das Unternehmen produzierte nichts, sondern handelte mit Strom und Benutzungsrechten für Datenleitungen. Der Boom zwischen 1995 und 2000 verlangte Gewinnsteigerungen, die Enron gerne lieferte – unter anderem indem die Verluste von bis zu 50 Milliarden US-Dollar in Bilanzen und Nebenfirmen versteckt wurden.

Kurz nach dem Bankrott prognostizierte der populäre Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman, dass der Enron-Skandal tiefere Spuren im US-amerikanischen Selbstverständnis hinterlassen werde als die Zerstörung des World Trade Centers am 11. September 2001.

Enron war mehr als eine Großpleite: Hier zeigte sich, dass das goldene Zeitalter des Kapitalismus, welches die Theoretiker der New Economy heraufziehen sahen, weniger auf neuen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, als viel mehr Betrug basierte. New Economy als New Criminality.

Vielen denkenden Menschen wurde klar, dass es die Manager zu weit getrieben hatten. Zum Beispiel vernichteten sie Altersrenten in Höhe von 800 Millionen US-Dollar, die Beschäftigte in Enron-Aktien angelegt hatten.

Diese Auswirkungen blieben Leuten wie dem radikalen Globalisierungskritiker Walden Bello nicht verborgen. Sie passten auch gut zu seiner Theorie, dass der digitale Kapitalismus aufgrund der neuen finanztechnischen Möglichkeiten die Grundfesten der demokratischen Verfassungen unterspüle. Bello hatte immer schon eine Ausweitung gesellschaftlicher Kontrollmechanismen gefordert, um den Markt einzuschränken – und sah nun ein Fenster der Möglichkeit geöffnet.

Die US-Regierung bemühte sich, es schnell wieder zu schließen. Es hagelte neue Gesetze. Heute, ein Jahr nachdem der Skandal öffentlich wurde, scheint die Ruhe wieder hergestellt. Ökonom Krugman aber argwöhnt, „dass da noch einige Enrons auffliegen werden“.