Region als Ideologie in Sachsen

Leipziger Sonderforschungsbereich zu „regionenbezogenen Identifikationsprozessen“ wird Opfer des knappen Geldes, aber auch der Ignoranz der sächsischen Öffentlichkeit

DRESDEN taz ■ Wie „macht“ man eine Region, welche Loyalitäten stiften eine solche räumlich oft nicht exakt abzugrenzende Sinngemeinschaft, wie lässt sie sich instrumentalisieren? Solchen nach der Wiedererrichtung der ostdeutschen Länder und im Zuge der Europäisierung besonders aktuellen Fragen widmete sich ein Sonderforschungsbereich an der Leipziger Universität. Doch zum Jahresende läuft der SFB 417 „Regionenbezogene Identifikationsprozesse“ nach nur vier Jahren formell aus. Der größere Teil der 13 Projekte hat die turnusgemäße Evaluation des Geldgebers Deutsche Forschungsgemeinschaft im vorigen Herbst nicht überstanden.

Die DFG selbst habe dies bedauert, berichtet Matthias Middell, Historiker und stellvertretender Sprecher des Sonderforschungsbereichs. Doch nur für knapp zwei Drittel der bundesweit positiv bewerteten Projekte sei Geld vorhanden gewesen, so dass in Leipzig zunächst nur 5 Projekte übrig blieben. Middell räumt allerdings auch interne Probleme der interdisziplinären Zusammenarbeit ein, wie sie nach dem Elitenwechsel und der Neusortierung der Universität 1991 typisch waren.

Der lange Arm der Politik ist jedenfalls für das vorläufige Ende des brisanten Forschungsbereiches nicht direkt verantwortlich zu machen. Das betont auch der parteilose Historiker Professor Werner Bramke, der für die PDS im Sächsischen Landtag sitzt und dort mehr als zwei Jahre Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses war. Gemeinsam mit seinem Fraktionschef, dem Linguisten und Dialektforscher Peter Porsch, hätte er noch am ehesten Grund zu solchen Vermutungen. Denn beide Leipziger Hochschullehrer sollten ursprünglich am Sonderforschungsbereich mitwirken. Plötzlich auftauchende Bedenken wegen ihrer Abgeordnetentätigkeit aber führten in einer zweiten Auswahlrunde zu ihrem Ausscheiden.

Die Arbeiten des Philosophen Wolfgang Luutz beispielsweise hätten durchaus in der Biedenkopf-Regierung und seiner CDU Argwohn wecken können – wären sie denn zur Kenntnis genommen worden. Luutz schaute hinter die Kniffe symbolischer Politik Kurt Biedenkopfs, analysierte das „Identitätsmanagement“. Die programmatischen Leitmodelle von Sachsen in Abgrenzung zu Ostdeutschland werden als konservative Mobilisierungsstrategie begriffen.

Aus dem Mythos einer Tradition schöpfend, so Luutz’ Analyse, sollte Sachsen als Avantgarde und zukunftsträchtiges Experimentierfeld mindestens für ganz Deutschland propagiert werden. Das Land werde „zu einem überhistorischen Wesen verklärt“, so Luutz. Der Freistaat musste sich dabei sowohl vom peinlichen historischen Zwischenfall DDR als auch von den räumlichen Nachbarn abgrenzen. Zugleich sollte ein neues „Wir“-Gefühl interne Differenzen auslöschen. Die Führungsfigur Biedenkopf hatte in diesem pseudohomogenen Regionalwesen einen selbstverständlichen Platz: „Region als Ideologie“, „Sächsische Geschichte als Instrument der Identitätsbildung“ oder „Kirche und Regionalbewusstsein“ lauteten weitere Themen des SFB 417. Bürger wurden nach den Kriterien ihrer Identifikation mit der Region befragt.

Doch Politik und Medien in Sachsen haben die Arbeit dieses interessanten Forschungsbereichs kaum zur Kenntnis genommen, während sich internationale Einladungen häuften. „Trauen Gesellschaft und Politik sich zu, über fließende Identitäten zu reden?“, beschreibt Matthias Middell die Kernfrage. In Sachsen neige man viel zu sehr zu starren Traditionsmustern, die eigentlich der propagierten Flexiblität im Wege stünden. So sei der Forschungsbereich zwar nicht unterdrückt worden, aber auch kaum Gegenstand eines öffentlichen Diskurses gewesen.

Von einem „Nachruf“ mag Middell dennoch nicht sprechen. Fünf positiv bewertete Projekte werden voraussichtlich in einem neuen Forschungsverbund weitergeführt. Auf die Finanzierung von weiteren vier darf noch gehofft werden. MICHAEL BARTSCH