Rauswurf statt Denkmal

Der VfB Stuttgart entlässt seinen Manager Rolf Rüssmann, der sich als Opfer „schwäbischer Seilschaften“ sieht, nachdem er sich nahezu jeden Angehörigen des Klubs zum Feind gemacht hatte

aus Stuttgart MARTIN HÄGELE

Als Rolf Rüssmann im November 1998 von Borussia Mönchengladbach entlassen wurde, war er kein normaler Mensch mehr. Im Kopf des Managers drehten sich viele große Räder; er wollte den Traditionsklub zur Weltmarke machen, auf sportlichem Gebiet mit dem FC Bayern München konkurrieren und in der Provinzstadt am Niederrhein das schönste und rentabelste Stadion der Bundesliga erstellen. Irgendwann gerieten all die Pläne, Konzepte und Visionen auf den unterschiedlichsten Ebenen durcheinander; der Mann, der ganz allein an seiner Fußball-Traumfabrik werkelte, schaffte sich dabei immer nur mehr Feinde. Kurz nach seiner Kündigung merkte Rüssmann selbst, wie sehr er sich vom Alltag entfremdet hatte: Er stand in einer Metzgerei, kaufte Wurst für die Familie, zahlte und gab der Verkäuferin ein Trinkgeld.

Wenn Rolf Rüssmann in den nächsten Tagen über den Weihnachtsmarkt von Gelsenkirchen schlendert, werden ihm keine solch befremdlichen Szenen mehr passieren. Obwohl der 52-Jährige beim VfB Stuttgart ähnliche Fehler gemacht hat wie seinerzeit auf dem Gladbacher Bökelberg. Er riss alles an sich. Er wusste alles besser. Er eröffnete täglich neue Baustellen – doch keine schloss er ab. So verprellte er Mannschaft und Mitarbeiter, Präsidiumskollegen und Sponsoren – und wurde dafür isoliert.

All das wird ihm Dr. Dieter Hundt gestern morgen erklärt haben, als der neue Aufsichtsratsvorsitzende Rüssmann von seinem Posten entband. Der Arbeitgeberpräsident hatte in den vergangenen Wochen selbst an allen Fronten recherchiert und am Ende eine lange Mängelliste vorliegen. Das Fehlen einer klaren sportlichen Konzeption stand darin als Hauptvorwurf. Dass der Sportdirektor, der zuletzt auch den Marketingbereich an sich gerissen hatte, keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigte und mit Abteilungschef Rainer Mutschler, dem ehemaligen Alpindirektor und Cheftrainer des Skiverbands, nur noch schriftlich verkehrte, war einer jener Punkte, die ein rasches Ende dieser Zustände erforderten.

Rüssmann dürfte sich mit den sportlichen Erfolgen der vergangenen zwei Jahre, vor allem aber mit der Perspektive und dem Image der „Jungen Wilden“ gerechtfertigt haben. Er sieht dies genauso als sein Werk an wie das von Trainer Felix Magath. Man werde seinen Beitrag zur Geschichte des VfB schon noch würdigen, er sei letztendlich über die vielen Neider gestürzt, ein Opfer der „schwäbischen Seilschaften“, so seine Version.

Womit der Westfale nicht falsch liegt. Dass die Klubpolitik in der Loge des Hauptsponsors Debitel gemacht wird, wo ehemalige und gescheiterte Führungskräfte, zum Teil arbeitslose Profis, das große Wort führen dürfen, kann den neuen Aufsichtsräten um Dieter Hundt, die Weltkonzerne oder zumindest gediegene schwäbische Unternehmen repräsentieren, bestimmt nicht gefallen. Und wenn es kritisch wurde, hat der Präsident Manfred Haas, höchst selten mal Flagge gezeigt. Die unangenehmen Aufgaben, vor allen Dingen die unappetitlichen Aufräumarbeiten im Büro seines Vorgängers Gerhard Mayer-Vorfelder, haben Haas und Co. gern dem Präsidiumskollegen Rüssmann überlassen. Weil der unbeleckt von all den MV-Affären war. So lange es halbwegs gut ging, waren alle froh, dass mit dem früheren Nationalstopper auch ein sportlicher Experte unter den Bankern, Buchhaltern und Versicherern vom Cannstatter Wasen saß. Diese Kompetenz wird nun fehlen. Und ob Wolfgang Holzhäuser von Bayer Leverkusen, der als Nachfolger gehandelt wird, gerade jene Qualitäten mitbringt? Aber wenn der VfB den Vorstellungen Magaths („Wir wollen auch mal um Titel und in der Champions-League spielen“) folgen will, dann braucht er im sportlichen Management einen Hochkaräter.

Ganz gewiss aber nicht den Kandidaten der Bild-Zeitung. Die plädiert einerseits für Altstar Krassimir Balakow, andererseits beschimpft der Sportchef des Blatts, der wie Rüssmann aus Gelsenkirchen stammt, Haas und Balakow sowie dessen Manager und Steuerberater als „Schwaben-Filz“. Die vier Golffreunde hätten Rüssmann abgeschossen – „anstatt ihm ein Denkmal zu bauen“.

Vielleicht sollte man dieses Märchen mit jener Episode widerlegen, die als Bruchstelle zwischen Haas und seinem Manager gilt: Als die Finanzmisere Prämien- bzw. Gehaltskürzungen erforderte, verbat sich Rüssmann präsidiale Einmischung. Tage später erfuhren die VfB-Profis aus der Zeitung, dass ihre Prämien gestrichen waren. Es stand exklusiv in Bild. Von da an war Rolf Rüssmann nicht nur für sein Präsidium, sondern für alle VfB-Profis erledigt.