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: Echte Helden schwitzen

Immerhin einen netten Brief hat Leo Kirch an den Autor geschrieben. Höflich für das ihm entgegengebrachte Interesse gedankt, sich amüsiert gezeigt, dass aus seiner längst verstaubten Dissertation zitiert wurde – und nochmal betont, dass er sich prinzipiell nicht für Biografien interviewen lässt. Auch nicht für die eigene.

 Doch das macht nichts. Thomas Clarks „Der Filmpate. Der Fall des Leo Kirch“ füllt einen nach wie vor grauen Fleck der deutschen Medien- und Wirtschaftsgeschichte. Der Aufstieg des studierten Kaufmanns Leo Kirch aus dem kleinen fränkischen Dörfchen Fahr zum einzigen echten deutschen Medienmogul ist spärlich dokumentiert. Und auch der langgestreckte Zusammenbruch des Kirch-Imperiums stand erst seit Anfang 2002 im Interesse der breiteren Öffentlichkleit. Obwohl der „Fall des Leo Kirch“ nach Clark spätestens mit dem Alleingang beim digitalen Pay-TV 1996 eingesetzt hatte und nicht mehr zu stoppen war.

 Verfolgt wird das Ende des Medienunternehmens bis in den späten Sommer hinein – für ein Buch eine ordentliche Leistung, die über manche Mängel des Lektorats hinwegsehen lässt. Der Autor – im Hauptberuf Medienredakteur bei der Financial Times Deutschland – hat einen Wirtschaftskrimi geschrieben, bei dem man am Ball bleibt, obwohl das Ende bekannt ist. Und den jedeR lesen kann: Für ein Wirtschaftsbuch bleiben Zahlen und Betriebswirtschaftsjargon angenehm auf das Mindestmaß beschränkt.

 Dass Clark überhaupt in so kurzer Zeit mit so vielen Freunden, Feinden und den wenigen neutralen Mitarbeitern und Weggefährten Kirchs sprechen konnte, sagt etwas über die Faszination aus, die der nach außen eher unscheinbar wirkende Filmhändler ausüben konnte. Dass sich die wenigsten von ihnen direkt zitieren ließen, allerdings auch.

 „Der Glaube ist das Echteste an ihm“, sagt da sein alter Geschäftsführer Bodo Scriba, der bis 1985 als rechte Hand von Leo Kirch den Weg für den Einstieg des Filmhandelshauses ins TV-Sendergeschäft ebnete. Den öffentlichkeitsscheusten Medienunternehmer der Republik hätte man also allsonntäglich beim Hochamt in der Münchner Frauenkirche treffen können. Überhaupt steht die Frage „Wer ist Leo Kirch“ im Mittelpunkt. Wenn Clark beschreibt, wie Kirch schon in seiner Schulzeit unmittelbar nach Ende des 2. Weltkriegs, als Händlergenie galt („Wenn jemand dringend etwas braucht, was scheinbar niemand auftreiben kann, lautet die Devise: ‚Frag doch den Leo‘“), wie er 1948 als Anhängsel in eine Schwarzmarkt-Schieberbande geriet und sich plötzlich – wegen Hehlerei angeklagt – vor dem Kadi wiederfand, lässt sich die zwiespältige Persönlichkeit des kühl rechnenden Kaufmanns und des draufgängerischen Spielers Kirch zumindest schon in Konturen erahnen.

In diesen Rückblicken ist Clarks Buch am überzeugendsten. Es erzählt den Aufstieg des Leo Kirch, ohne in den verschwörerischen Ton der bislang maßgeblichen Kirch-Biografie von Michael Radtke („Außer Kontrolle. Die Medienmacht des Leo Kirch“, Berlin 1994) zu verfallen, erreicht aber nicht deren tiefe Durchdringung der politischen Gemengelage zwischen dem Freistaat Bayern und seinem obersten Filmhändler. Auch Clarks Verdikt, zwei schwere Autounfälle stellten Kirchs prägendste Erfahrung dar und hätten dafür gesorgt, dass er „jede Scheu vor unternehmerischem Risiko“ verlor, bleiben These. Dafür enthält das unbedingt lesenswerte Buch einen der schönsten Einstiege der jüngeren Sachbuchgeschichte: Als 1996 die Macher des digitalen Pay-TV beisammensitzen und vom großen Durchbruch träumen, der später zum Albtraum werden sollte, steht da: „Echte Helden schwitzen“. STG

„Der Filmpate. Der Fall des Leo Kirch“. Hoffmann und Campe 2002, 21,90 €. Die taz präsentiert am 17. Februar 2003 im Berliner Tränenpalast eine Diskussion mit Thomas Clark und Medienexperten zum „Fall Leo Kirch“.