„Wie eine Mischung aus Antibiotika und Rattengift“

EINSCHÄTZUNG Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht steht voll und ganz hinter der griechischen Regierung. Sie setzt auf neue Verhandlungen in Brüssel

■ 45, ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag. Im Herbst soll sie gemeinsam mit Dietmar Bartsch in der Nachfolge von Gregor Gysi Fraktionschefin werden. Wagenknecht zählt zum linken Parteiflügel.

taz: Frau Wagenknecht, ist der Grexit abwendbar?

Sahra Wagenknecht: Die Frage ist nicht primär, ob es zum Grexit kommt. Die Frage ist, wie Griechenland die Chance bekommt, die aktuelle tiefe Krise zu überwinden. Auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland können Tsipras für sein Nein dankbar sein, denn das völlig verfehlte Paket der Institutionen hätte die ganze Tragödie nur verlängert und dazu geführt, dass noch mal völlig sinnlos Milliarden verschwendet worden werden. In einem halben Jahr stünden wir dann genau da, wo wir heute stehen, nur dass Griechenland dann noch ärmer und die Schulden noch höher wären. Das wäre keine Lösung

Was dann?

Die griechische Wirtschaft muss reaktiviert werden. Dazu braucht das Land Investitionen, eine drastische Vermögensabgabe für Reiche und einen Schuldenschnitt. Stünden nicht ständig Tilgungen alter Schulden an, bräuchte Griechenland aktuell ja gar kein neues Geld.

Merkel und Hollande haben den Griechen ein Milliarden-Konjunkturpaket angeboten.

Wenn man Kredite für Investitionen anbietet aber gleichzeitig ein Sparpaket diktiert, das die Wirtschaft noch mal abwürgt, dann ist das, als würde man einem Kranken eine Mischung aus Antibiotika und Rattengift verabreichen.

Jetzt bekommt der Patient gar keine Medizin mehr. War es falsch, ein Referendum vorzuschlagen?

Ich kann nicht nachvollziehen, warum in Europa jedes Mal Hysterie ausbricht, wenn eine Regierung ihre Bevölkerung fragen will. Es ist verantwortungsvoll, dass Syriza bei dieser wichtigen Frage die Wähler zu Wort kommen lässt. Mit dem Programm, für das die griechische Regierung im Januar gewählt wurde, wäre eine Zustimmung überhaupt nicht vereinbar gewesen.

Weil Tsipras das Referendum in letzter Sekunde ankündigte, wirkt es nun aber wie ein taktischer Schachzug.

Der Zeitpunkt ist das Einzige, was man vielleicht berechtigt kritisieren kann. Ich denke aber, die griechische Regierung hat einfach bis zum Schluss gehofft, dass sie eine Verständigung mit den Institutionen findet.

Stimmen die Griechen nun mit Ja, müsste Syriza Sparmaßnahmen umsetzen, die sie ablehnt. Kann das gut gehen?

Ich hoffe nicht, dass es so kommt. Die griechische Bevölkerung sollte sich nicht von den Erpressungsversuchen einschüchtern lassen, dass sie angeblich zwischen Europa und Chaos entscheidet. Dem ist nicht so.

Müsste Syriza abtreten, wenn die Mehrheit der Griechen mit Ja stimmt?

Warten wir erst mal ab, was die Mehrheit wirklich entscheidet.

Und was passiert, wenn das Referendum mit Nein endet?

Dann muss neu verhandelt werden. INTERVIEW: TOBIAS SCHULZE