RALF LEONHARD ZU UNGARNS MIGRATIONSPOLITIK
: Hin und her dank Dublin

So schnell hat Viktor Orbán vor Brüsseler Drohgebärden noch nie den Schwanz eingezogen. Keine 24 Stunden nachdem er die Suspendierung des Dublin-III-Protokolls „mit sofortiger Wirkung“ und „bis auf Weiteres“ verfügt hatte, ließ er seinen Außenminister zurückrudern. Es sei alles gar nicht so gemeint gewesen. Aber Flüchtlinge, die in Ungarn registriert und anderswo aufgegriffen wurden, wolle man trotzdem nicht zurückhaben. Potenziell handelt es sich um über 100.000 Asylsuchende aus den letzten 18 Monaten. Praktisch um mindestens mehrere Tausend.

Europa zeigt sich angesichts des Flüchtlingsstroms nicht nur logistisch überfordert. In Österreich etwa wird die Regierung zunehmend nervös angesichts erdrutschartiger Wahlerfolge der rechtspopulistischen FPÖ, die mit der Angst vor Fremden seit Jahren erfolgreich Politik macht. Auch in anderen Ländern hat die Asyldebatte zu einem Rechtsruck geführt.

Österreich will daher Dublin-Fälle, also jene Flüchtlinge, die in einem anderen Land registriert wurden, beschleunigt abschieben. Da wollte Viktor Orbán nun die Notbremse ziehen und legte sich somit einmal mehr mit Brüssel an. Erstmals drohte ihm die Kommission mit Rauswurf, denn es geht um die Grundfesten der Union. Wären andere Länder Orbáns Beispiel gefolgt, wäre nicht nur die gesamte europäische Flüchtlingspolitik Makulatur. Binnen kürzester Zeit würden im Schengen-Raum wieder Grenzen errichtet werden; das Prinzip der Freizügigkeit wäre beim Teufel.

Orbán betrachtet Flüchtlinge, die es bis Ungarn schaffen, pauschal als Wirtschaftsflüchtlinge, die gar nicht verfolgt werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention zwingt ihn trotzdem, gewisse Regeln einzuhalten. Jetzt muss er sich jetzt etwas anderes einfallen lassen, um seine stolze Nation vor „Überfremdung“ zu schützen.

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