BILDERSTÜRMER BEI PARIS
: Französische Malaise mit der Moral

Der Vandalismus beweist einmal wieder, wie intakt die Macht der Kunst ist

Unbekannte haben in dieser Woche eines der im Schlosspark von Versailles derzeit ausgestellten Monumentalwerke mit gelber Farbe beschmiert. Es handelt sich zweifellos um einen gezielten Vandalenakt. Die Skulptur hatte von Beginn eine Polemik ausgelöst. Offiziell nennt der indisch-britische Künstler Anish Kapoor diese in der Form an einen Tunneleingang erinnernde Metallskulptur „Dirty Corner“, die französischen Medien fanden dafür den Übernamen „Le Vagin de la Reine“, die Vagina der Königin. Für die Kritiker, für die solche zeitgenössische Kunstwerke mitten im allerheiligsten Kulturerbe der Nation ohnehin eine Faust ins Auge ist, war es von Vornherein eine ausgemachte Sache, dass Kapoor eine Provokation bezweckt.

Der feige Vandalenakt, zu dem sich niemand bekannt hat, sollte wohl so etwas wie eine Gegendemonstration sein. Es nutzte gar nichts, dass Kapoor im Nachhinein korrigierte, dass er die Bezeichnung „Vagina der Königin“ als Beschimpfung seines Werks betrachte.

Anish Kapoor weiß, dass vor ihm im vergangenen Oktober bereits Paul McCarthys Werk „Tree“, das viele Betrachter an ein Sextoy (im Stil Anal Plug) erinnert hat, auf dem Pariser Vendôme-Platz Ziel eines anonymen nächtlichen Anschlags wurde. Er sei sich bewusst, dass in diesem Land eine gewisse „Malaise“ bei der Konfrontation mit der Moral existiere, sagte Kapoor. Anders als McCarthy suche er aber nicht die Provokation, versichert er. Jetzt möchte er das „Positive“ in dieser bedauernswerten Affäre prüder Bilderstürmer sehen: „Dieser Vandalismus beweist, wie intakt die Macht der Kunst ist, wenn sie verunsichert, Anstoß erregt und die Limiten verschiebt. Das Gute an dieser Attacke ist, dass sie die schöpferische Kraft der Kunst verdeutlicht.“ Auf jeden Fall wird über die „Vagina“ in Versailles mehr denn je diskutiert. RUDOLF BALMER