Lager oder Grandhotel Cosmopolis

TAGUNG Rund um das Thema Flüchtlinge, Kunst und Bildung fand letzte Woche die Veranstaltung „Interventionen“ im Berliner Podewil statt. Erfrischenderweise gab es keine Podiumsdiskussion

„Über den Titel des Workshops bin ich total entsetzt“, meldet sich eine rothaarige Künstlerin in dem mit ungefähr 50 Menschen gefüllten Raum zu Wort. „ ‚Leben statt Lager‘, das ist falsche Provokation!“ Schon schütteln einige den Kopf – soll jetzt etwa wieder stundenlang über Begriffe diskutiert werden? „Ja doch, ich habe mich ein wenig angegriffen gefühlt, als ich das im Programm las“, stimmt ihr der Leiter einer Notunterkunft in Berlin Spandau zu. „Bin ich Lagerkommandant?“ Zwei Studentinnen aus Hellersdorf entgegnen: „Im Heim neben unserer Uni sind die Lebensbedingungen schon äußerst prekär. ‚Lager‘ kann man auch als eine Art Warnung verstehen, die zur Frage verleitet: In welche Richtung wird sich die Wohnlage von Flüchtlingen in Deutschland entwickeln?“

Und somit kehrte die Arbeitsgruppe zum eigentlichen Thema zurück: „Impulse für neue Wohnformen aus Kunst und Architektur als Alternativen zu Sammelunterkünften“ ist einer von fünf parallelen Workshops mit Schwerpunkten wie Praxis, Bildung oder Nachhaltigkeit, die am letzten Donnerstag im Rahmen der Interventionen im Berliner Podewil stattfanden. Initiiert wurde die Veranstaltung von der Abteilung für kulturelle Bildung der Kulturprojekte Berlin – vor dem Hintergrund des in Politik und Medien immer wichtiger werdenden Themas: Flüchtlinge.

Tatsächlich haben 2014 über 200.000 Menschen aus Osteuropa, dem Nahen Osten und Afrika einen Asylantrag in Deutschland gestellt – Tendenz steigend. Mit der Anzahl der Flüchtlinge wachsen Angst und Unmut vor dem Fremden, aber auch Solidarität. „Bundesweit werden immer mehr Kunst- und Sozialprojekte mit Flüchtlingen organisiert“, erläutert Projektkoordinator Moritz von Rappard. „Da haben wir uns gedacht, es sei Zeit für ein Gespräch. Doch anstatt im kleinen Rahmen einen Abend lang zu diskutieren, haben wir uns dafür entschieden, verschiedenste Akteure, ob Macher oder Beteiligte, zu einer Begegnung auf Augenhöhe einzuladen.“

Zukunft anders gestalten

Und so trafen sich an die 300 TeilnehmerInnen aus ganz Deutschland, um mithilfe von Dolmetschern ins Englische, Arabische, Farsi und Französische mit Flüchtlingen über konkrete Ziele der Flüchtlingsprojekte, Forderungen an die Politik und Utopien zu diskutieren. Die Moderation übernahmen „Jugendliche ohne Grenzen“, ein vor zehn Jahren gegründeter Verein von jungen Flüchtlingen, die sich vernetzen, auf Missstände aufmerksam machen und für das Thema sensibilisieren wollen.

Man merkt schnell: Unterschiedlicher könnten die Erfahrungen mit der Thematik bei den Anwesenden kaum sein. Doch egal ob man sich in der Stadt oder auf dem Land, in wirtschaftlich starken oder schwachen Gegenden Deutschlands engagiert, in einem Punkt waren sich alle TeilnehmerInnen mit oder ohne Fluchtgeschichte einig: Sammelunterkünfte führen zur zwangsläufigen Abschottung der BewohnerInnen und sind auf Dauer sowohl für Flüchtlinge als auch die Einwanderergesellschaft unzumutbar. Flüchtlinge seien nun mal Teil eines gesellschaftlichen Phänomens, dem wir uns alle stellen müssen. Das sollten wir als Chance, nicht als Drohung begreifen.

Dabei gäbe es durchaus auch Vorbilder, wie man die Zukunft anders gestalten könnte. So berichtet beispielsweise Stef Maldener von seinem Wohnprojekt Grandhotel Cosmopolis in Augsburg. Vor zwei Jahren eröffnete die Herberge für AsylbewerberInnen und zahlende Reisegäste, die zudem auch ein Teil seiner Räume als Künstlerateliers anbietet. Die BewohnerInnen werden ihren individuellen Kompetenzen nach eingebunden, und ein gegenseitiges Kennenlernen mit Menschen aus der nahen Umgebung und Europa findet durch den parallelen Hotelbetrieb und kulturelle Veranstaltungen statt. Genau an der Gestaltung solcher Begegnungsräume scheitern jedoch die meisten Einrichtungen. Dazu fehlen die Mittel, die Bereitschaft seitens der Politik und Investoren sich zu engagieren, und vielleicht auch die nötige Fantasie. ELISE GRATON