Alles aus Holz

NATURFOLGER Die Lehmkes machen so ziemlich alles, was man aus Bäumen machen kann. Rechte Winkel sind ihnen ein Graus, Steiners Lehren nicht bibeltreu genug und die Kirchgänger zu eitel

Für einen Carport rammt Lehmke ganze Baumstämme in die Erde. Regale werden mit Birkenzweigen verziert. Tischbeine folgen dem Wuchs des Holzes. Rechteckfans würden sagen: alles schief und krumm

VON JENS FISCHER

Alles so schön rund hier. Und alles aus Holz, unbesäumt, offenporig, in frischem Hellrot oder mit vergrauter, natürlicher Patina prunkend. Wintergarten, Dachausbauten, Terrasse, Möbel tun nicht so als ob, sind ungeschminkt geradezu Skulpturen als Bekenntnis ihres Ursprungs.

Aber keine Kunst, kein Kunsthandwerk, sondern „altmodisches Handwerk“ will der Familienbetrieb Lehmke leben. Er besteht aus Axel und Martina Lehmke, der zwölfjährigen Tochter Lilith Medea, Hund „Socke“ und Katze „Rosie“. Im Firmenwagen finden CDs Gehör mit Musik von Ozzy Osbourne, Anne Sofie von Otter, Nick Cave, Mike Krüger und Johann Sebastian Bach. Daheim im renovierten Bauernhof hängen Poster von Metallica und Rudolf Steiner neben Bibelpsalmen. Darunter stehen die Instrumente des Lehmke Trios: Klavier, Geige, Cello.

Wir sind dort, wo der Hamburger Speckgürtel reichlich speckig ist, also vor lauter Reichtum villaüppig glänzt: nahe Schneverdingen, in Wintermoor. Angesichts der wohlhabenden Klientel haben sich viele Holzhandwerker angesiedelt, drücken die Preise. Ebenso die industriellen Anbieter. „Bei kirchlichen Trägern und Waldorf-Kindergärten zählt auch Qualität, staatliche Ausschreibungen für Holzarbeiten sind immer nur am billigsten Angebot interessiert“, erzählt Lehmke, „ich muss mich anpassen.“ Dann werde Mindestlohn für ihn selbst zur Utopie.

Lehmke ist Ostberliner, Baujahr 1963, wurde Geselle beim Zimmerervater und ließ sich 1996/97 in Hamburg zum Meister, später auch zum Erzieher ausbilden. An Schleswig-Holsteins Nordseeküste betreute er die Holzwerkstätten eines Heimes für schwer erziehbare Jugendliche. Und dann die Auswanderung, mit Frau und Baby nach Neuseeland. Einen Container mit Umzugstüdel und Tischlermaschinen hatte Lehmke dabei. Er schwärmt von der Schnitzkunst der Maori und experimentiert mit ihrer Ornamentik.

Eine Meningitis-Epidemie vertrieb die Familie aber schnell wieder aus ihrem Traumland – zurück nach Deutschland. Hechtsprung in die Selbstständigkeit. Lehmkes suchten eine Marktnische – und fanden sie in der anthroposophischen Ausrichtung ihres Tuns. Der Zimmerer erklärt: „Heute gibt’s ja nur noch diesen Spanplattenplunder und überall kantiges Standard-Design, das weckt doch Lust auf anderes.“ Wobei Lehmke bereits „anders“ aussieht. Sein ergrautes Resthaar auf Rockstarlänge gezopft, „Metallica“ auf dem linken, ein schlangeumwundenes Kreuz auf dem rechten Arm tätowiert, am Hals lodern Flammen. „Die Tattoos lasse ich mir auch noch ausmalen“, sagt er, „wenn mal wieder Geld über ist.“

Gern baut Lehmke Massivholzmöbel. Aber das machen doch auch andere? „Ja, aber mit billigem Fichten- und Kiefernholz, wir nehmen Erle, die hat eine viel härte Struktur, schöne Maserung und ist honigtonfarben.“ Für Außen-Objekte bevorzugt er sibirische Lerche. Die wachse in der recht unwirtlichen Gegend so langsam, dass sie ganz schmale Jahresringe habe, deswegen aber sehr hart und widerstandsfähig sei.

Lehmke spricht stets von Naturholz – und meint damit: „Chemie draufstreichen verboten.“ Es wird auch nicht lackiert, maximal mit Pflanzenölen bearbeitet, so dass der warme Holzton zur Geltung kommt. Gerade in Waldorf-Kitas sei das sehr beliebt für Mobiliar, Spielhäuser, Wackelbrücken und Kletterwände, hat Lehmke erlebt, „da die Natur im Objekt anfass- und spürbar ist, nirgendwo Kunststoff und Lego-Knallfarben davon ablenken“.

Da in der Natur die rechten Winkel nicht zum ästhetischen Erfolgskonzept gehören, setzt auch Lehmke auf runde Ecken und geschwungene, fließende Formen. Sind Schattierungen und bunte Strukturen gewünscht, schwingt er nicht den Pinsel oder appliziert Plastikteile, sondern setzt beim Ölen Pflanzenpigmente zu oder verbaut verschiedenfarbige Holzarten. „Diese Farben blättern nie ab.“ Natürlich nachhaltig.

Für einen Carport rammt Lehmke als Pfeiler ganze Baumstämme in die Erde und krönt mit Holzschindeln oder einem Pappdach. Regale werden mit welligen Birkenzweigen verziert. Notenständer bestehen aus aufgebockten Baumscheiben und die Violine ruht in einer Wurzelmulde. Tischbeine folgen dem Wuchs des Holzes. Rechteckfans würden sagen, das sei ja alles schief und krumm.

„Gott ist der Maßstab“, prunkt als Leitmotiv auf Lehmkes Website. Sind sie Anthroposophen? „Die pädagogischen Ansätze finden wir gut, also nicht Wissen in Kinder hineinprügeln, sondern den ganzen Menschen entwickeln“, so Martina Lehmke. Ihre Tochter durchlief auch Waldorf-Krabbelgruppe, -Kindergarten und -Grundschule, lernte weben, Theater spielen, musizieren, mauern, schmieden – „richtig altes Handwerk“, wie das Ehepaar anerkennend feststellt.

Und wie stehen sie zum Anthroposophenguru? „Wir haben das Gesamtwerk Steiners teilweise gelesen und stellten fest: Vieles ist nicht nachvollziehbar, zu abgehoben, und einiges mit der Bibel nicht zu vereinbaren. Wir sind eher Bibelchristen.“ Also Kirchengänger? „Seit hier am Tag nach dem Schützenfest die verkaterten Schützen mit ihrem Lametta behängt in unsere Kirche stolzierten, haben sie uns mit diesem eitlen Auftreten den Gang zum Gottesdienst versaut.“ Firmenpost wird aber weiterhin unterschreiben mit „Herzliche Grüße und Gottes Segen“. Ungeschminkt bekenntnishaft.