Liebe auf den zweiten Blick

DOKU „Hilfe, die Roma sind weg“ ist eine ungemein sehenswerte Reportage über eine unwahrscheinliche Freundschaft: Nach holperigem Beginn entdeckt ein Rentnerpaar sein Herz für die benachbarten Roma

„Ich bin deine Mutter, und das wird sich auch nie ändern“

CHRISTA HERMES

Auch wenn man über 70 ist, und wenn man ein Leben lebt, in dem sich schon lange nichts mehr geändert hat – es ist nie zu spät, noch einmal sehr viel dazu zu lernen. Diese Erfahrung haben Christa und Harald Hermes gemacht, wohnhaft seit vier Jahrzehnten in einer Siedlung in Lokstedt, die schon bessere Tage gesehen hat.

„Hilfe, die Roma sind weg“ heißt der Film, den das NDR-Fernsehen am Freitag zeigt. Die Roma – das sind Rosi und Robert mit ihren Kindern, die mangels Perspektiven aus Serbien geflohen sind und in Lokstedt auf die Hermes’ treffen. Sie beziehen die Wohnung über den Rentnern, die sehr viel gegen Nicht-Deutsche haben, weil die ihre Wäsche auf dem Balkon aufhängen, selten Fenster putzen und Mülltonnen inkorrekt befüllen. Zusammen mit anderen Nachbarn, denen man ungern im Dunkeln begegnet wäre, als sie noch 40 Jahre jünger waren, wehren sie sich dagegen, dass in ihrer Siedlung viele Nicht-Deutsche untergebracht werden sollen.

Doch die Haltung von Christa und Harald Hermes ändert sich: Man freundet sich an mit den Roma, hilft ihnen bei Amtsgängen, macht gemeinsame Ausflüge. Die neuen Nachbarn sind wie ein neues Leben. „Ich bin deine Mutter, und das wird sich auch nie ändern“, sagt Frau Hermes eines Tages zu der Frau aus dem fremden Land, und die Roma-Kinder nennen die nun sehr freundlichen älteren Herrschaften Oma und Opa. Doch das glückliche neue Leben ist abrupt vorbei, als die Roma abgeschoben werden.

Im Zentrum des Films von Anke Hunold, Fabienne Hurst und Julia Saldenholz steht ein einwöchiger Besuch der Hermes’ in Serbien. Es ist das erste Wiedersehen nach zehn Monaten – und die erste Flugreise im Leben der Hermes’. Als sie sehen, in welchen beengten und auch sonst tristen Verhältnissen die Ex-Nachbarn nun leben, kaufen sie ihnen einen Kleiderschrank und eine Waschmaschine.

Die Hermes haben zwar Kinder und Enkel, aber offenbar sehen sie die nicht oft, sie haben jedenfalls das Bedürfnis, anderen nah und vor allem für sie da zu sein. Ihr Leben habe zu einem großen Teil aus „Däumchendrehen“ bestanden, bevor sie die Roma kennengelernt hätten, sagt Christa Hermes. Der Film rückt einen wenig beachteten Aspekt des Flüchtlingsthemas in den Fokus: Es kommen Familien nach Deutschland, die jede Unterstützung brauchen, nicht nur finanzielle, und hier gibt es Menschen, die keinen großen Lebensinhalt haben – und froh wären, wenn sie sich um jemanden kümmern könnten.

Der Film leidet etwas darunter, dass er teilweise wirkt wie ein bebildertes Radiofeature. Ständig wird erklärt und erläutert, der Zuschauer bekommt kaum Gelegenheit, das Gesehene auf sich wirken zu lassen. „Hilfe, die Roma sind weg“ ist dennoch ein Rührstück im positiven Sinne. Man kann davon ausgehen, dass diese Reportage bei denen, die von einer menschenwürdigen Flüchtlingspolitik überzeugt werden müssen, mehr bewirkt als eine trockene Doku. RENÉ MARTENS

„Hilfe, die Roma sind weg“, NDR Fernsehen, 21.15 Uhr