Müller mag nicht pfeifen

PARLAMENT Regierungschef Müller macht seinen Koalitionspartner CDU rund, weil der der Homo-Ehe nicht zustimmt – und will doch im Bundesrat nicht mit einem Ja stimmen

„Wer diesen Weg nicht mitgehen will, hat Berlin nicht verstanden“

REGIERUNGSCHEF MICHAEL MÜLLER

VON STEFAN ALBERTI

Wie Handkantenschläge prasseln die Vorwürfe auf die CDU ein. Längst überfällig ist die Homo-Ehe für den Mann am Rednerpult des Abgeordnetenhauses. „Wer diesen Weg nicht mitgehen will, der hat Berlin nicht verstanden“, sagt er. Inhaltlich habe er nichts von der CDU zu ihrer Ablehnung gehört. Er zitiert die taz, in der der CDU-Generalsekretär die Bundesratsinitiative zur Homo-Ehe als „Klamauk“ abtat. Linke, Grüne und Piraten applaudieren laut. Dabei ist der Mann da vorn nicht einer der Ihren, sondern der Frontmann der rot-schwarzen Koalition – Regierungschef Michael Müller.

Etwas überraschend hat sich Müller zu Wort gemeldet, nachdem sich alle Fraktionen geäußert haben. Überraschend, denn er hat früher am Vormittag auf eine Frage der Grünen hin schon angekündigt, dass sich Berlin im Bundesrat am Freitag voraussichtlich enthalten wird. Das gebe der Koalitionsvertrag mit der CDU vor, der bei unterschiedlichen Positionen im Bundesrat Enthaltung vorsieht. Für den anderen Fall hat die CDU mit dem Ende der Koalition gedroht.

Es liegt Müller nun, eineinhalb Stunden später, merklich am Herzen, darzustellen, dass er persönlich liebend gern für die Homo-Ehe stimmen würde. Er will auch auf das reagieren, was für die CDU ihre Vizefraktionschefin und Rechtspolitikerin Cornelia Seibeld gesagt hat. Deren Tenor war für Müller, dass sich am abendländischen Familienbild seit 2.000 Jahren nichts geändert hat. „Und das sehe ich völlig anders, Frau Seibeld.“

Sehr staatsmännisch

Still ist es bei seinen Worten, sehr still, während sonst mehrfach Zwischenrufe die Redner übertönten. Sehr staatsmännisch, wie über den Parteien wirkt Müller, als stehe kein Regierungschef, sondern ein Gauck am Mikrofon. Er greift eine Passage des Koalitionsvertrages auf, den schon die Opposition zitiert hat, wonach Rot-Schwarz Diskriminierung beseitigen will. „Was hat die Berliner CDU da gedacht, als sie das unterschrieb?“

Doch seiner Überzeugung zu folgen, im Bundesrat mit Ja zu stimmen, nötigenfalls um den Preis des Bruchs, dazu ist Müller nicht bereit: „Deshalb die Koalition zu beenden ist absurd.“

Die Opposition kommt nicht umhin, Müllers Bekenntnis zu gesellschaftlichen Veränderungen und zur Homo-Ehe ausdrücklich zu loben. Aber er geht für sie eben nicht den entscheidenden Schritt. „Wer die Lippen spitzt, muss auch pfeifen können“, hält Linksfraktionschef Udo Wolf der SPD vor.

Wolf und der Piraten-Abgeordnete Andreas Baum sehen das mit der Koalitionstreue ganz anders. Aus ihrer Sicht bricht Müller den Koalitionsvertrag genau dann, wenn er im Bundesrat nicht zustimmt. Der Abschnitt zu Diskriminierung, die Selbstverpflichtung, im Interesse des Landes Berlin zu handeln, wie es in dem 2011 zwischen SPD und CDU geschlossenen Vertrag heißt – all das verpflichtet aus ihrer Sicht den Regierenden Bürgermeister dazu, mit einem Ja zu stimmen.

Die Grüne Anja Kofbinger kann die Sache zeitweise nur noch ironisch betrachten: Die CDU tue so, als werde sie überrollt von einer Entwicklung und müsse erst mal diskutieren – dabei sei diese Entwicklung seit Jahrzehnten in Gang. Laut Kofbinger hat sich Berlin unter Müllers Vorgänger, dem offen schwul lebenden Klaus Wowereit, 2013 bei einer Bundesrats-Abstimmung zur Homo-Ehe schon einmal enthalten.

„Koalition am Ende“

Für Klaus Lederer, den Landesvorsitzenden der Linkspartei, sind Müllers Worte „die notarielle Beurkundung, dass Ihre Koalition total am Ende ist“. Vielleicht glaubt das auch Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop, als sie zum Debattenende nochmals ans Rednerpult geht. Denn noch vor Müller im Bundesrat muss schon an diesem Donnerstagnachmittag die SPD-Fraktion Farbe bekennen. Die Opposition hat einen Antrag gestellt, der sich für ein Ja zur Homo-Ehe ausspricht, und drängt auf sofortige Abstimmung. Pop hofft merklich auf Zersetzungserscheinungen, als sie fordert, den Fraktionszwang aufzuheben.

Doch dann funktionieren sie noch, die Mechanismen der Koalition: Rot-Schwarz stimmt dafür, nicht über den Antrag zu entscheiden, sondern ihn in zwei Ausschüssen zu versenken. Auch bei der SPD-Fraktion ist keine Hand zu sehen, die sich dem verweigert – auch nicht die des queerpolitischen Sprechers Tom Schreiber, auch wenn die bei der Abstimmung kaum über die Waagrechte hinaus nach oben zu gehen scheint. Müller jedenfalls will bis zum Schluss bei der CDU um ein Ja am Freitagvormittag im Bundesrat werben: „Die Tür bleibt bis zur letzten Minute vor der Abstimmung offen.“

Illustration: Kitty Hawk