AM 16. JULI WERDEN DIE TÜREN VON FAO SCHWARZ, AMERIKAS ÄLTESTEM UND LUXURIÖSESTEM SPIELZEUGGESCHÄFT, NACH 153 JAHREN EINFACH GESCHLOSSEN BLEIBEN: Bald bin ich eine richtige New Yorkerin
OPHELIA ABELER
Wenn es so ist, wie Colson Whitehead in „The Colossus of New York“ schreibt und du in dem Moment ein New Yorker wirst, in dem du dabei bist, wie das Alte dem Neuen weicht, und du ahnungslosen Neulingen erzählen kannst, „früher, als hier noch Soundso war“, dann werde ich spätestens am 16. Juli New Yorkerin.
Der 16. Juli ist der Tag, an dem die Türen von FAO Schwarz nach 153 Jahren einfach geschlossen bleiben werden, die Türen zum ältesten und luxuriösesten Spielzeuggeschäft Amerikas, gegründet von Frederick August Otto Schwarz, einem deutschen Einwanderer; vollgestopft mit lebensgroßen Steiff-Tieren, Lego-Figuren und Marvel-Superhelden, denen man mittels 3-D-Scanner und -Printer sein eigenes Gesicht verpassen kann, und mit Erwachsenen und Kindern gleichermaßen, Einheimischen und Touristen, die allesamt versuchen, den dort arbeitenden Zauberern hinter ihre Tricks zu kommen.
Jeder hier lässt sich von studentischen Hilfskräften in Stickstoff gekühltes Eis für 5 Dollar die Portion andrehen, kauft Papierflugzeuge für 12 Dollar das 3er-Pack oder knackt in der Edelstein-, Mineralien- und Fossilienabteilung Drusen für 29 bis 69 Dollar das Stück wie Nüsse, wobei hier Upper East Side Prep-Schüler und ihre chinesischen Nannys besonders hemmungslos sind.
Das günstigste Angebot im gesamten Laden ist der Blick in die Zukunft. Einen Dollar muss man in den „Zoltar“-Automaten schieben, dann spricht die Wahrsagerpuppe aus dem Film „Big“ von Penny Marshall zu einem. 1988 kam „Big“ raus, spielte 100 Millionen ein und machte einen Riesenstar aus Tom Hanks. Der zwölfjährige Held wünscht sich von Zoltar, endlich groß zu sein und wacht gleich am nächsten Morgen im Körper eines Dreißigjährigen auf.
Kurz darauf trifft er in New York, natürlich bei FAO Schwarz, den Mann, der ihn als Spielzeugtester einstellt – ein Traumjob. Es geht um das Kind im Mann und darum, dass man zusehen sollte, unbedingt seine Leidenschaft zum Beruf zu machen – und natürlich geht es um alle Arten von Gadgets und albernen Scherzartikeln, während Computerspiele noch eine untergeordnete Rolle spielen, sich allerdings schon am Horizont abzeichnen. „Big“ läuft alle naselang im Bordprogramm von Interkontinentalflügen, wahrscheinlich, damit man gleich als nächste Destination New York bucht, denn der Film weckt unweigerlich Sehnsüchte.
Legendär ist auch die Szene, in der Tom Hanks auf dem FAO-Schwarz-Fußbodenklavier tanzend „Heart and Soul“ spielt. Der arme Tom Hanks musste sie immer wieder in Talkshows nachspielen. „Heart and Soul“ ist das Stück, das wirklich jeder Mensch auf dem Klavier beherrscht, es ist noch einfacher als der Flohwalzer, klingt aber richtig nach was. Und erst, wenn es mit den Füßen gespielt wird! Vor nicht allzu langer Zeit haben Kim und Khloé Kardashian sich daran versucht und den gesamten Laden gemietet, um ihre Louboutins von sich zu schmeißen und unbehelligt auf den beleuchteten Tasten herumzuhüpfen.
Jetzt ist dem Paradies der Kinder und Kindgebliebenen an der 5th Avenue die Miete zu teuer geworden, und das, obwohl es inzwischen zu der Kette Toys„R“Us gehört. Es ist halt das General Motors Building, gleich neben Bergdorf Goodman; Ronald Lauder hat sein Büro da oben drin, Tiffany ist in Spuckweite, und Apple hat sich 2009 seinen riesigen Flagshipstore dort hingebaut.
Zum Vergleich: Toys„R“Us hat 2014 12,5 Milliarden Dollar Umsatz gemacht, Apple 182 Milliarden Dollar. Apple ist nicht wirklich schuld daran, dass FAO Schwarz bei der neuen Miete nicht mehr rentabel sein kann, aber Apple liefert die Smartphones und iPads, auf denen Kinder heute, ohne sich vom Fleck bewegen zu müssen, ihr Spielzeug im Internet bestellen oder auf die sie ihre Computerspiele herunterladen.
Ein weiterer deutscher Einwanderer, Aby Rosen, Real- Estate-Tycoon und Besitzer des denkmalgeschützten Seagram Building von Mies van der Rohe, in dem sich das Four Seasons Restaurant befindet, bestimmt dieser Tage das Stadtgespräch. Rosen hat zuerst den Picasso, der im Restaurant hing, rausgeschmissen, um seinen eigenen Kunstwerken Platz zu machen, und jetzt soll das ganze Restaurant ausziehen. Aber was passiert dann mit dem fabelhaften Philip-Johnson-Interieur? Mit der endlos coolen Bar, wie es keine zweite in New York gibt?
Was auch immer da reinkommt, sei es bei FAO Schwarz oder ins Four Seasons: Ich werde es pietätvoll ignorieren, dort weder essen noch einkaufen. Oder höchstens wenn Besuch aus Deutschland kommt, dem ich wehmütig davon erzählen werde, wie schön es hier früher war.
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