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LUNCHKONZERTKirschen in B-Dur

Die Buchstaben-Zahlen-Folge sieht aus wie ein Geheimcode

Es ist Dienstag und Mittagszeit in der Friedrichstraße Ecke Kochstraße. Ich bin mit C. verabredet und muss auf den Bus. Alle Ampeln schalten gleichzeitig auf Grün. Touristen rempeln Berufstätige an, mich erwischt der Ellbogen eines Jüngeren. Er hastet zu Bäcker Kamps. Dort steht die Schlange bis zur Tür, draußen weht ein kalter Wind.

Als die Anzeige an der Haltestelle blinkt, ist weit und breit kein M 29 in Sicht. Der Bus hat zehn Minuten Verspätung – C. muss auf mich warten. An der Potsdamer Brücke steige ich aus. Hier hat der Wind viel Fläche. Ich laufe schneller.

C. steht schon im Foyer der Philharmonie, wo gleich das Lunchkonzert stattfindet – für umme und jedermann, immer dienstags. Es riecht nach Chili. C. fragt, ob es hier was zu essen gebe, und putzt sich die Heuschnupfennase. Das Chili ist aus, dafür gibt es Salat und Kaiserschmarrn mit Kirschen.

Wir erwischen den letzten freien Tisch hinter einer Säule. Bevor das Konzert beginnt, essen wir noch schnell den Chicorée-Salat, er macht so viel Lärm beim Kauen. Währenddessen füllt sich der Raum. Es ist ein Gedränge, überall auf dem Boden sitzen Leute. Auch ein Baby ist da, das aufgeregt den Kopf hin und her dreht.

Hinter der Säule sehen wir die Bühne nicht. Um 13 Uhr verrät ein schwacher Applaus die drei Musiker. Plötzlich ist es mucksmäuschenstill im Publikum. Franz Schubert: Klaviertrio B-Dur D898. Eine Buchstaben-Zahlen-Folge, die aussieht wie ein Geheimcode. Die zwei Streicher und die Pianistin haben ihn geknackt. Alles fließt. Das Baby fixiert mit seinen großen Augen einen Punkt im Fenster. Das Glas schimmert blau, rot und grün. Auf dem Tisch liegt ein Programmheft: „Kyoko Hosono, geboren in Toyama“. Ich stelle mir einen Garten mit japanischen Blüten vor und spieße vorsichtig die letzte Kirsche auf.

KATHARINA BRENNER

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