Seilspringen für die Integration

SPORTFÖRDERUNG Seit 1998 gibt es in Bremen eine Übungsleiterinnenausbildung für Frauen mit Migrationshintergrund. Durch den Lehrgang sollen sie als Kursleiterinnen für den Vereinssport gewonnen werden. Die Sportvereine nehmen sie gern auf

VON JÖRDIS FRÜCHTENICHT

Der Seminarraum befindet sich unter dem Dach. Man muss aufpassen, sich nicht den Kopf zu stoßen. Die acht Frauen begrüßen sich freundlich, tauschen Neuigkeiten aus. An dem Tisch, an dem sie sitzen, würden auch doppelt so viele Personen Platz finden. Jede hat vor sich einen Aktenordner mit Arbeitsmaterialien, Zettel und Stift liegen bei den meisten daneben. Sie sind vorbereitet.

Es ist das zweite Seminar der diesjährigen Übungsleiterinnenausbildung für Frauen mit Migrationshintergrund. Der Lehrgang, der vom Projekt „Interkulturell“ und der Abteilung „Bildung und Sportentwicklung“ des Landessportbundes Bremen (LSB) veranstaltet wird, soll den Frauen ermöglichen, als lizensierte Übungsleiterinnen in Sportvereinen zu arbeiten. Insgesamt 120 Unterrichtseinheiten von je 45 Minuten sind auf Wochenenden aufgeteilt, die in Bremer Vereinen stattfinden. Dazu kommen noch ein Erste-Hilfe-Lehrgang und eine zehnstündige Hospitation im Sportverein – und zum Abschluss eine Lehrprobe. Der Kurs hat im April begonnen, nach den Sommerferien wollen die Frauen fertig sein.

Diesmal beginnt es mit einem Rollenspiel. Jeder Frau wird eine Situation vorgegeben, in die sie sich hineinversetzen soll. Wie verhält man sich als Trainerin, die mit ihrer Kindersportgruppe vor verschlossener Tür steht und nicht hineinkommt? Achtung, Aufsichtspflicht! Die Kinder dürfen nicht einfach nach Hause geschickt werden, man ist für ihre Betreuung verantwortlich.

Oder eine Kollegin fragt, ob man sie in ihrer Sportgruppe für Herzkranke vertreten kann – das sollte man besser nur mit entsprechender Zusatzausbildung machen. Jeweils eine Teilnehmerin ist die Übungsleiterin, die anderen spielen die Sportlerinnen und geben Feedback. Neben der Wissensvermittlung wird so auch gleich das freie Sprechen vor einer Gruppe geübt.

„Die Frauen, die hier teilnehmen, haben sehr unterschiedliche Hintergründe. Manche sind die zweite oder dritte Generation in Deutschland“, erzählt Astrid Touray, die beim LSB für Integration zuständig ist. Im Vorfeld des Lehrgangs findet eine Beratung statt, und wenn es darum geht, nach der Ausbildung einen Platz als Trainerin zu finden, hilft Touray denen, die unsicher sind.

„Wir kennen die Vereine. Ich telefoniere auch mal mit den Verantwortlichen und kündige die Frauen an.“ Hingehen müssten die Übungsleiterinnen aber allein – immerhin wollen sie Sportgruppen anleiten.

Darin hat Marina Galieva Erfahrung. Bevor sie 1993 nach Deutschland kam, war sie in Moskau Leistungssportlerin im Rudern und Sportlehrerin. Hier hat sie schon in vielen Jobs gearbeitet, unter anderem in der Gastronomie. Die 47-Jährige meint: „Wir Migranten dulden unsere Jobs, wollen aber in den Beruf zurück, den wir gelernt haben.“ Galieva will mit ihren Russischkenntnissen als Übungsleiterin eine neue Zielgruppe erreichen.

Die jährlich stattfindende Qualifizierung gibt es seit 1998. Sie wird von der Bremer Senatskanzlei gefördert und kostet für die Teilnehmerinnen deswegen nur 160 Euro statt sonst 560 Euro. Bei Bedarf wird eine Kinderbetreuung organisiert, um möglichst vielen Frauen die Teilnahme zu ermöglichen. Seit drei, vier Jahren gebe es eine gute Vermittlungsquote, meint Touray. „Die Vereine haben erkannt, was sie an den Frauen haben.“

Nouray Özdemir, deren Eltern in den 1970er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen, macht das Seminar, um sich selbst etwas Gutes zu tun. „Ich möchte aber auch anderen Musliminnen die Möglichkeit geben, Sport zu treiben.“ Bereits seit Mitte April leitet die ehemalige Rettungsschwimmerin eine Step-Aerobic-Gruppe. „Der Bedarf ist da. Am Anfang waren es 24 Teilnehmerinnen, jetzt, sechs Wochen später, sind es schon 33.“

Die Ausbildung umfasst Theorie und Praxis. Antje Büssenschütt, die Dozentin für die Lizenzausbildung, vermittelt Übungen aus verschiedenen Bereichen. „Wir machen kleine Lehrproben. Die Frauen haben meist eine Grundsportart und machen die Probe darin – dieses Mal haben wir etwa Boxen, Leichtathletik und Ballett.“ Die Teilnehmerinnen planen Einleitung, Hauptteil oder Schluss einer Sporteinheit und führen sie im Seminar durch.

Diesen Freitag ist aber erst noch mal die Dozentin dran. Das Mensch-ärger-dich-Nicht hat es in sich. Wer würfelt, muss zunächst eine Übung machen, bevor die Figuren auf dem Spielfeld gesetzt werden dürfen. Seilspringen, Ball prellen, Strecksprünge – für jede Augenzahl gibt es eine andere Aufgabe. Wer zweimal die Drei würfelt, muss auch zweimal seilspringen. Schließlich ruft Büssenschütt die Teilnehmerinnen wieder zusammen: „Dieses Spiel eignet sich für alle Altersgruppen und ist eine gute Ergänzung für euren Werkzeugkoffer.“