VERFLUCHTES GEWIMMEL
: Beschwipste Raubkatzen

Über Kreuz

MARKUS LÜCKER

Fick, Fickerich, Fickerei! Es ist raus. Fluchen kann so befreiend sein. Insbesondere auf dem Kirchentag. Überall wuseln christliche Pfadfinder umher: freundliche Heranwachsende in grauen Uniformen. Ein himmelblaues Tuch lose um den Hals geknotet, lauschen sie der politischen Elite. Artige Kinder.

Sprachliche Entgleisungen fallen schwer bei dieser Aura aus erdrückender Nettigkeit. Fluchen geht nur noch heimlich im Hotelzimmer, unter der Bettdecke. Auch bei der Eröffnungspredigt zeigte sich am Mittwochabend maximale Konsensempörung. Flüchtlinge: Da müssen wir was machen. Verfolgung von Minderheiten: ein unhaltbares Vergehen. Soziale Ungerechtigkeit: ganz schlimm.

Auf den Parteiempfängen von Linken, CDU, Grünen und SPD ist man mutiger. Kleine Exklusivpartys in Marmorsälen mit Engelsstatuen. Pfadfinder haben hier keinen Zugang. Einlass erhalten nur geladene Gäste. Gerne auch solche, die sich selbstbewusst als Lobbyisten vorstellen. Handgeschüttel, Lächeln, Winken. Wer Kirchenvertreter ist, sucht da das Private. Da kann auch mal gemeckert werden. Abseits der Öffentlichkeit. Beim CDU-Treff darüber, wie häufig genau das Wort „christlich“ im Wahlprogramm auftauchen sollte. Bei den Grünen darüber, dass ein streikfreies Arbeitsrecht für die Kirche doch prinzipiell eine prima Sache sei. Wählerstimmen und so – aber auch Säkularisierung oder so.

Vorderste Front gegen den lobbyistischen Ansturm bilden Bollwerke aus Frischkäsehörnchen und Fruchtsalaten. Dann kommt der Prosecco. Und nach dem dritten Nachfüllen ist es dann auch egal, ob man nun „Bewahrung der Schöpfung“ oder „Umweltschutz“ sagt. Vor dem Delirium sind alle gleich.

Und doch muss man sich irgendetwas erhoffen. Würde man sich sonst bei Frühsommerhitze in Militärkostüme oder putzige Priesterroben werfen, würde an einem einzigen Abend eine politische Meet-and-Greet-Tournee absolvieren? Es ist das Prinzip Ohrwurm. Wer lange genug quengelt, setzt sich fest.

Wer genau hinsieht, erkennt die engagierten Socializer. Wie sich sich auf ihren Streiftouren mit der Eleganz beschwipster Raubkatzen durch Stehtischgrüppchen quetschen. Dazu immer wieder die gleichen Floskeln. Sie auch hier? Bitte, bitte. Danke, danke. Ja, ja.

Am nächsten Morgen zieht es die Pfadfinder wieder hinaus in die U-Bahnen. Noch mehr artige Kinder. Alle haben sich lieb. Man ist eine Gemeinschaft, eine Familie: Brüder und Schwestern. Noch ein Grund zum Fluchen: Verfickte Fickerei!