piwik no script img

Die nächtlichen Taxifahrten sind vorbei

THEATER Ein Vierteljahrhundert als freie Bühne: Das English Theatre Berlin feiert mit dem Festival „Expat Expo“ sein 25. Jubiläum

VON ANNE-SOPHIE BALZER

Die steinernen Zwerge des Malers Kurt Mühlenhaupt sind noch da. Breit grinsend halten sie Wache auf dem Hof in der Fidicinstraße 40 in Kreuzberg. Vielleicht sind sie zur Verteidigung der Kunst angetreten, auf jeden Fall haben sie sich dauerhaft zwischen den Blumentöpfen eingerichtet, als Relikt der kurzen Schaffenszeit des Malers auf dem einstigen Gelände der Firma Wittenbecher.

Nach dem Mauerfall zog der Maler aufs Land, die Sommerfeste der wilden Kreuzberger Nächte sollen ihm zu laut geworden sein. Was der ehemalige Kurator der Sammlung Ludwig, Karl Ruhrberg, einmal über Mühlenhaupt geschrieben hat, scheint jedoch geradezu paradigmatisch auf die heutigen Bewohner der Höfe zuzutreffen: Man sehe sich bei Mühlenhaupts Figuren stets mit einem kleinen Welttheater konfrontiert. Was könnte also besser zur früheren Arbeitsstätte des Malers passen als ein freies Theater mit der Arbeits- und Bühnensprache Englisch, das KünstlerInnen aus aller Welt einlädt, getreu dem Motto „Form follows function“?

Das English Theatre Berlin ist ein Relikt aus jener Zeit, in der Westberlin zum Brennglas der Kulturszene wurde und die staatlichen Fördertöpfe noch voll waren. Mitte der 1980er Jahre gründete der dem Wehrdienst entlaufene Karlsruher Bernd Hoffmeister gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Martin Kamratowski eine Werkstatt, in der die beiden Bühnenbilder herstellten und recycelten. Etwa zur selben Zeit hatte Günther Grosser, ein Philosophiestudent aus Tübingen, mit einigem Erfolg die englischsprachige Theatergruppe Out to Lunch gegründet.

Kleine Eigenproduktionen

Wieso nicht auch eine Studiobühne zu den Werkstätten hinzubauen, dachten sich Hoffmeister und Grosser, als immer häufiger TheatermacherInnen nach einer Spielstätte fragten. Das Projekt hieß damals noch „Friends of Italian Opera“, eine Anspielung auf Billy Wilders „Manche mögen’s heiß“. Obwohl die Opernfreunde schon früh Fördergelder von der Stadt Berlin erhielten, reichten die oft nicht einmal für eine einzige Produktion. Hoffmeister und Grosser fuhren daher nach den Vorstellungen Taxi. Ihr Programm bestand aus Gastspielen und kleinen Eigenproduktionen.

Die Zeiten der nächtlichen Taxifahrten sind 25 Jahre später vorbei, und auch die der wilden Sommerfeste – oberhalb der Bergmannstraße ist es ruhig geworden. Das Theater hat sich weiterentwickelt, von den „Friends of Italian Opera“ zum English Theatre Berlin mit dem Beinamen „International Performing Arts Center“. Es hat die Entwicklung der geteilten Stadt zur internationalen Weltstadt begleitet und sich mit ihr verändert.

Hier kommt Daniel Brunet aus New York ins Spiel. Der studierte Theater- und Filmwissenschaftler kam 2001 mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin, um als freischaffender Autor die europäische Theaterszene kennenzulernen. Viele der innovativen Ideen der letzten Jahre gehen zurück auf den neuen künstlerischen Leiter, der mit seinen 35 Jahren die nächste Generation der TheatermacherInnen repräsentiert.

Dieser frische Wind war nötig, denn 2012 drohte dem Haus der Verlust der Fördergelder. Brunet änderte das Konzept des Theaters: Bisher hatte man sich auf Produktionen und Gastspiele aus dem englischsprachigen Ausland konzentriert. Mittlerweile sind KünstlerInnen aus der ganzen Welt willkommen, solange sie Englisch als Arbeitssprache benutzen – auf und hinter der Bühne. „Es ist die Lingua franca des 21. Jahrhunderts, die Brückensprache unserer Zeit“, so Brunets Begründung.

In vielen Stadtteilen Berlins ist es möglich, sich gänzlich auf Englisch zu verständigen, egal ob man Brötchen kauft, sich beim Einwohnermeldeamt registriert, sich tätowieren oder die Haare schneiden lassen will. Da fügt sich ein englischsprachiges Theater wie selbstverständlich ein. Doch Brunet geht noch weiter. Für ihn ist das English Theatre auch ein Gemeindezentrum, in dem Menschen zusammenkommen, die sich für Theater, Kunst und Musik interessieren. Den Begriff „Community“ mag er nicht besonders, er stehe für die Gemeinschaft einer eher homogenen Gruppe. Er sagt stattdessen „Szene“. Brunets jüngste Kreation ist die dritte Neuauflage des Festivals „Expat Expo“, das mit 20 Performances an sechs Abenden die Diversität und Internationalisierung der Kulturszene in Berlin abbilden will. Brunet ist selbst ein Expat, der in Berlin eine neue Heimat gefunden hat. Würde Kurt Mühlenhaupt noch leben, er hätte Brunet als Dramatis persona des Welttheaters sicher liebend gerne gemalt.

■ „The 2015 Expat Expo“, English Theatre Berlin, noch bis 7. Juni

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen