Krebs, Keime, kaum Kontrolle

MEDIZINTECHNIK Der Chef der deutschen Aufsichtsbehörde, Karl Broich, fordert eine strengere Regulierung des Marktzugangs und ein verpflichtendes Register, um Betroffene schneller identifizieren zu können

BERLIN taz | Anders als Arzneimittel, die ein mehrjähriges Zulassungsverfahren bestehen müssen, können Hersteller von Medizinprodukten ihre Geräte schon auf den Markt bringen, wenn sie nur nachgewiesen haben, dass die Geräte technisch sicher sind. Der tatsächliche Patientennutzen spielt keine Rolle. Ein Herzschrittmacher etwa darf nicht rosten – ob er die Beschwerden des Patienten wirklich zu lindern vermag, spielt für die europaweite Verkaufserlaubnis aber keine Rolle.

Auch der Skandal um fehlerhafte Brustimplantate der französischen Firma PIP in den Jahren 2011 und 2012 konnte an dieser vielfach kritisierten Verfahrensweise nichts ändern. Zwar wird im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat seit Herbst 2012 über eine umfangreiche Verordnung für Medizinprodukte verhandelt, die die bestehenden Regelungen zur Kontrolle und Überwachung sogenannter Hochrisikoprodukte, die dauerhaft im Körper verbleiben, ein wenig schärfer fassen soll. An der grundsätzlichen Problematik – dem Fehlen eines Zulassungsverfahrens durch eine unabhängige, staatliche Stelle – soll sich jedoch nichts ändern.

Der Bundesverband Medizintechnologie als Interessenvertreter vieler Hersteller findet dies erwartungsgemäß richtig. Auch nach Bekanntwerden der Gefahren von Beatmungsgeräten beteuert sein Sprecher Manfred Beeres: „Das dezentrale europäische System bietet Patienten schnelleren Zugang zu Innovationen. Wir lehnen eine zentrale staatliche Zulassung ab, da es keine Beweise dafür gibt, dass dies gegenüber dem bisherigen System die Patientensicherheit erhöht.“

Deutschlands oberster Aufsichtschef für Medizinprodukte, der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, Karl Broich, bezweifelt das: „Derzeit benötigen Hersteller nur ein sogenanntes CE-Siegel, um ihre Produkte auf den Markt bringen zu können. Bei welcher benannten Stelle sie dieses Siegel beantragen, können sie selbst bestimmen. Das System muss verbessert werden“, sagte Broich der taz.

Broichs Forderung kommt nicht von ungefähr. Die Verdachts- und Risikomeldungen über Geräte, die die Gesundheit möglicherweise existenziell gefährden, häufen sich. Aktuell etwa fahndet das BfArM nach Patientinnen, die sich Brustimplantate hatten einsetzen lassen und später an Brustkrebs erkrankten. Entsprechende Verdachtsfälle, die auf einen möglicherweise bestehenden Zusammenhang zwischen Implantat und der Entstehung des sogenannten anaplastischen großzelligen Lymphoms deuteten, hatte zuvor die französische Aufsichtsbehörde ANSM gemeldet.

In Deutschland ist derzeit kein Brustkrebsverdachtsfall bekannt. Für den BfArM-Chef Broich kein Grund zur Entwarnung: Es sei extrem schwierig, auch nur Kontakt mit etwaigen Betroffenen aufzunehmen, beklagt Broich: „Derzeit kennen wir bei den Medizinprodukten nicht einmal die Grundgesamtheit der Patientinnen und Patienten, bei denen sie angewendet wurden.“ Als Ausweg fordert er ein verpflichtendes Register für Medizinprodukte, in dem auch verzeichnet wird, wer wann durch wen womit behandelt wurde. „Damit wäre es beispielsweise für die Kliniken leichter, im Fall von Risikomeldungen die Patientinnen und Patienten zeitnah kontaktieren zu können.“

Zusammen mit dem Berliner Robert-Koch-Institut, Deutschlands oberster Seuchenbehörde, untersucht das BfArM seit einigen Wochen, ob es einen Zusammenhang zwischen Infektionen mit gefährlichen Mykobakterien und der Benutzung sogenannter Hypothermiegeräte gibt. Letztere werden bei Herzoperationen eingesetzt, um das Blut der Patienten auf einer bestimmten Temperatur zu halten.

Bislang waren Mykobakterien nur in sehr seltenen Fällen bei abwehrgeschwächten Patienten als Auslöser einer Lungenentzündung identifiziert worden. Neuerdings aber gibt es einen weiteren schwerwiegenden Verdacht: Die Mykobakterien können offenbar auch Infektionen an Herzklappen hervorrufen. Erste Fälle wurden 2014 in der Schweiz bekannt. Sechs Patienten, denen zwischen 2008 und 2012 künstliche Herzklappen eingesetzt worden waren, erkrankten – vier starben. Drei weitere Infektionsfälle wurden 2014 in den Niederlanden bekannt, einer endete tödlich. Mykobakterien wachsen extrem langsam, alle Infektionen traten erst Jahre nach der Operation auf. Aktuell werden in Großbritannien mehrere Verdachtsfälle untersucht, in Deutschland wurde 2015 ein erster Fall gemeldet.

Seither wird danach gefahndet, wie das Bakterium überhaupt durch die Hypothermiegeräte übertragen werden kann. Möglicherweise, so vermutet man beim Robert-Koch-Institut, waren die Geräte mit den Bakterien verunreinigt, weil sie vor dem Einsetzen nicht sachgemäß desinfiziert worden waren.

HEIKE HAARHOFF