Spätzünder mit Heimweh

Wer in Karlsruhe wohnt, glaubt zuweilen, dass dort mehr Juristen wohnen als im Rest der Republik. Ob das dem Klima guttut, ist die eine Frage, dass selbiges hingegen mediterraner als in Hamburg ist, merkt man, wenn man sich Ende Mai im T-Shirt in den ICE nach Hamburg setzt. Und beim Aussteigen nicht nur einen Pullover anziehen muss, sondern gleich noch die Winterjacke dazu. Es hat also Vor- und Nachteile, in Karlsruhe zu wohnen.

Rouwen Hennings, 1987 in Bad Oldesloe geboren, sieht das ähnlich differenziert. Dienstlich geht es ihm prima im Südwesten, die Atmosphäre in der Mannschaft ist à la bonne heure und sportlich läuft es beim KSC gut wie noch nie für ihn. Doch auf die Frage, wo es ihm besser gefalle, in Holstein oder seinem Wohnort Ettlingen, hat er der Stadionzeitung kürzlich eine ehrliche Antwort gegeben: der Kurpark in Oldesloe, das wär’s schon.

Auch in der nordischen Kälte am vorigen Donnerstag hat sich der 27-Jährige verdammt wohlgefühlt. Er hat in Stellingen das Karlsruher 1:0 erzielt und hätte sich damit einer gewissen Mittäterschaft an einem gar nicht mal so unwahrscheinlichen Abstieg des Hamburger SV schuldig gemacht. Das wäre dann ein wenig komisch, weil Hennings in der Jugend des HSV ausgebildet wurde. Wer den Mann damals kicken sah, muss allerdings mildernde Umstände für die Ausbilder gelten lassen: Nein, in die Reihe all der Hochtalentierten, all der Brehmes, Effenbergs, Kruses, Harniks und Wasweißichs, die der HSV vor der eigenen Haustür übersah, passte dieser bullige Blonde mit dem überschaubaren Talent irgendwie nicht.

Selbst, als er 2012 vom FC St. Pauli zum damaligen Drittligisten KSC wechselte, schwirrten SMSe vom Kiez Richtung Karlsruhe mit unfeinen Vokabeln wie „blind“, „chancentod“ oder „HSVer halt“. Vor ein paar Wochen revanchierte er sich mit zwei Toren gegen St. Pauli. Nun ist er mit 17 Toren amtierender Zweitligatorschützenkönig, hat beim KSC seinen eigenen Fangesang, zu „Just can’t get enough“ von Depeche Mode, und ist mit der Welt aber mal so richtig im Reinen.

Das wiederum könnte daran liegen, dass er einen richtig guten Trainer hat. Weil Markus Kauczinski merkte, dass der Etat keinen zweiten Stürmer hergab, stellte er einfach das System auf den einzigen Mann um, den er da vorne hatte. Statt 4-4-2 spielt der KSC jetzt 4-5-1. Und statt langen Bällen jetzt … Fußball. Sehr zur Freude von Hennings: „Mit meinen 1 Meter 81 liegt mir Kombinationsspiel natürlich eher, als wenn die Bälle hoch und weit durch die Gegend fliegen“, sagt der. Vielleicht hat ja jetzt auch der HSV gemerkt, dass es gefährlich wird, wenn Hennings ein Ball gut liegt. CHRISTOPH RUF