piwik no script img

Auf dem Thron

BAHNHOF Der Stadtteil Hamburg-Waltershof ist durchzogen von Gleisen für den Güterverkehr. Hier baut Tobias Franke mit der Rangierlok Züge zusammen

Aufs Gleis

Jeden Tag mehr als 200 Güterzüge mit insgesamt rund 5.000 Waggons machen Hamburg zum größten Eisenbahnhafen Europas.

■ Durch den Hafen führen derzeit mehr als 300 Kilometer Gleise. Von allen Gütern, die im Hamburger Hafen umgeschlagen werden, wird ein Drittel mit Zügen transportiert.

■ Die Schiene verbindet Hamburg auch mit dem Hinterland. Das erste Gleis wurde 1866 vom Sandtorkai zur Strecke Hamburg–Berlin gelegt. Heute befördert etwa das Schienenlogistik-Unternehmen Metrans einen Teil der in Hamburg auf- und abgeladenen Container auf Güterzügen von und nach Tschechien, Polen oder in die Slowakei.

Meistens arbeitet Tobias Franke sieben Tage durch – und hat dann sieben Tage frei. In seiner Arbeitswoche wohnt er in einer Dienstwohnung der HHLA-Tochter Metrans in Hamburg-Harburg. Der Tobi, wie er sich vorstellt, teilt sich mit zwei bis drei anderen Lokführern eine Wohnung. So eine WG macht ihm nichts aus, auch wenn er fast den ganzen Tag mit den Kollegen zusammen ist. Da sitzt man sich schon auf der Pelle. Aber er ist eh nicht gern allein, sagt er. Wenn er frei hat, fährt er nach Hause. 320 Kilometer bis nach Quedlinburg in den Harz. Dort Arbeit zu finden, ist nicht leicht, schon gar nicht als Lokführer. Was soll er da machen? Die Dampflok den Brocken rauffahren? Nee, sagt er.

Franke ist 38 und kommt eigentlich vom Bau. 13 Jahre hat er als Maurer gearbeitet, war auf Montage, hat immer wieder auf Baustellen an verschiedenen Orten gearbeitet. Das war schon in Ordnung, sagt er. Aber im Sommer, wenn alle frei hatten und es sich gut gehen ließen, musste er ran. Im Winter war dann Däumchendrehen angesagt. Auch finanziell war das nicht immer eine sichere Bank. Irgendwann erzählte ihm ein Kumpel von seiner Arbeit als Lokführer. Mach das doch auch, hat der gesagt. Aber Franke hätte nie gedacht, dass er mal auf dem Thron sitzt. Lokführer, klar, schon ein Kindheitstraum. Aber nee, lass mal lieber.

Dabei mochte er immer schon große Maschinen. Er war bei der Bundeswehr und hat da seinen Panzerführerschein gemacht. Irgendwann hörte er doch auf seinen Kumpel und machte 2008 seinen Lokführerschein. Ein Jahr lang ist er jeden Tag zur Schule gegangen, machte Praktika, lernte für die Prüfung – zog es durch und bestand. Da ist er stolz drauf, sagt er.

Jetzt sitzt er in Blaumann und Kapuzenpulli in einem kargen Besprechungsraum im Keller im Hafenbahnhof Waltershof, hat eine Basecap mit HHLA-Logo auf dem Kopf und eine Frühschicht fast hinter sich. Um 7 Uhr hat er angefangen, ist zu seinem Disponenten gegangen, hat eine der vier Rangierloks, die in Waltershof herumfahren, einen Kollegen und den ersten Auftrag für den Tag zugeteilt bekommen. Er stellt mit seiner Rangierlok die Güterzüge zusammen, mit denen die Ladung aus dem Hafen abtransportiert wird – an ihren Bestimmungsort im Hinterland. So ein voll beladener Zug kann schon mal 1.800 Tonnen wiegen. Franke mag seine Arbeit, das ist hier nicht wie auf dem Bau, sagt er. Hier muss er mitdenken und jeder Tag ist anders.

Am liebsten sind ihm die Tage mit der Rangierlok, nur auf den Gleisen im Hafen unterwegs, Zug zusammenbauen, Pause machen und weiter zum nächsten Zug. Strecke, wie sie das hier nennen, macht er nicht so gern. Langweilig, sagt er. Lokführer, die die Streckenloks fahren und die verladenen Container nach Dresden, München oder sonstwohin bringen, dürfen während der Fahrt nicht mal Radio hören, sind allein mit sich und der Landschaft. Sie müssen nur dauernd den Toter-Mann-Knopf drücken, damit die Leitstelle weiß, dass der Lokführer nicht bewusstlos von seinem Sitz gefallen ist. Nichts für Franke. Er baut lieber Züge zusammen. Wenn es geht, bis zur Rente.  ILKA KREUTZTRÄGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen