Der Unerschütterliche

ARBEITSKAMPF Mit nahezu allen Mitteln wehrt sich der Verpackungshersteller Neupack gegen betriebliche Mitbestimmung sowie eine gewerkschaftliche Organisierung seiner Mitarbeiter. Betriebsrat Murat Günes aber lässt sich nicht loswerden – auch nach 15 Kündigungen nicht

VON ANDREJ REISIN

Zieht Murat Günes in den Kampf oder geht er einfach nur zur Arbeit? Beides ist nicht leicht voneinander zu unterscheiden: Denn sein Arbeitgeber hat ihm offenbar den Krieg erklärt. Schikanen, Kündigungen, Privatdetektive, Spitzel-Besuche bei seinem Hausarzt: Nichts lässt die Firma Neupack in Hamburg-Stellingen unversucht, um Günes loszuwerden. Sein „Vergehen“: Er ist Betriebsrat und kämpft für Arbeitnehmerrechte.

Seit 1996 arbeitet Günes beim Verpackungshersteller mit Firmensitzen in Hamburg und Rotenburg (Wümme). Die Firma beliefert unter anderem die halbe Molkereiindustrie mit Joghurtbechern, Folien und anderen Verpackungsmaterialien. Rund 200 Menschen arbeiten für Neupack – viele von ihnen in niedrig qualifizierten, aber körperlich anstrengenden Jobs – die entsprechend mäßig bezahlt sind. Einen Betriebsrat gab es lange nicht: Erst 2004 entstand dieser nach langem Ringen.

Das seit mehr als 50 Jahren inhabergeführte Unternehmen gehört der Hamburger Unternehmerfamilie Krüger. Firmenpatriarch Jens Krüger ist jenseits der 70 – und führte sein Unternehmen nach Bekunden von Mitarbeitern und Beobachtern nach Gutsherrenart. Bis Murat Günes und einige Kollegen gemeinsam mit der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) einen Haustarifvertrag aushandeln wollten. Unterschiedliche Bezahlung gleicher Tätigkeiten, sowie willkürliche Bonuszahlungen und Gehaltskürzungen sollten der Vergangenheit angehören.

Kategorisch verweigerten sich die Inhaber dieser Forderung, bis der Konflikt Ende 2012 schließlich eskalierte und in einen neunmonatigen Streik mündete. Der Arbeitskampf der Beschäftigten hatte für das Unternehmen immense Kosten: Produktions- und Auftragsrückgänge, gerichtliche Auseinandersetzungen, das Anwerben von meist polnischen Arbeitskräften als „Streikbrecher“, Sicherheitspersonal, Polizeieinsätze und jede Menge schlechter Presse. All das leisteten sich die Krügers offenbar lieber, als einen Tarifvertrag zu unterschreiben. Der Streik endete im August 2013 zwar nicht mit dem Abschluss eines Haustarifvertrags, aber mit einer Betriebsvereinbarung, die im Wesentlichen dieselbe Funktion erfüllt.

Die für Außenstehende kaum zu verstehende, unglaublich harte Haltung der Firma erklärt der für den Betrieb zuständige Gewerkschaftssekretär Rajko Pientka damit, dass für die Besitzer weder Geld, noch andere unternehmerische Fragen im Vordergrund stünden.

„Das ist aus deren Sicht eine Prinzipienfrage“, sagt Pientka. „Da geht es nicht um rationale Dinge wie die entstehenden Kosten, sondern darum, dass die Belegschaft zu machen hat, was der Chef sagt. Wenn der meint, die weiße Wand sei grün, dann ist das so. Das ist die Haltung, die dort vorherrscht.“ Er beschreibt den Tarifkonflikt so: „Das Problem war, dass die Beschäftigten klare Regelungen der Arbeitsbedingungen wollten und durchgesetzt haben, die den Entscheidungsspielraum der Geschäftsführung beschränken.“

Und das bekommen Murat Günes und seine Kollegen bis heute zu spüren. Nicht weniger als 15 Mal hat das Unternehmen mittlerweile versucht, den Betriebsrat mithilfe fristgerechter und fristloser Kündigungen loszuwerden. Zusätzlich werden die Kündigungen gerne an Terminen wie direkt zu Urlaubsbeginn, an Günes’ Geburtstag oder kurz vor Weihnachten ausgesprochen – kein Wunder, dass das zu einer immensen Belastung für den Betroffenen wurde.

Als Günes im letzten Jahr länger krankgeschrieben war, wurden Spitzel auf den Betriebsrat angesetzt. So schickte man eine Detektivin zu Günes’ Hausarzt, die sich dort mithilfe falscher Angaben einen Attest erschwindelte. Dieser wiederum sollte den „Beweiswert“ von Günes’ eigenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen „erschüttern“. Das Hamburger Arbeitsgericht zeigte sich allerdings unbeeindruckt und „kassierte“ jede einzelne Kündigung als unbegründet.

Doch warum tut man sich diesen Kleinkrieg an, der bis ins Private hineinreicht? Und das jahrelang? Warum wechselt man nicht den Arbeitgeber, der einen augenscheinlich mit allen Mitteln loswerden will? Die Antwort von Murat Günes ist ebenfalls eine prinzipielle: „200 Menschen, die bei Neupack arbeiten, das sind 200 Familien“, sagt er, ohne zu zögern. „Wir sind während des langen Kampfes sehr zusammengewachsen. Ich kann und will meine Leute nicht im Stich lassen. Dafür sind wir zu weit miteinander gegangen.“