: Zwei Welten, miteinander in Kontakt
MALEREI Eine Schau in der Berliner Alten Nationalgalerie zeigt, dass die Unterschiede zwischen den Sinneseindrücken der Impressionisten und den Ausdruckswerten der Expressionisten erstaunlicherweise oft gar nicht so groß sind
■ „Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende“, 22. Mai bis 20. September in der Alten Nationalgalerie, Bodestraße 1–3 in Mitte, rollstuhlgeeignet. So., Di., Mi. 10 bis 18 Uhr; Do., Fr., Sa. 10 bis 20 Uhr, Mo. geschlossen. www.imexinberlin.de (taz)
VON RONALD BERG
BERLIN taz | Die Kurzformel „ImEx“ als Titel für die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie meint natürlich nicht Import-Export, sondern steht für Impressionismus und Expressionismus. Beide Kunststile treffen hier erstaunlicherweise erstmals überhaupt direkt aufeinander. Das museale Vorhaben ist auch der Tatsache geschuldet, dass die bislang in der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum gezeigten Expressionisten wegen Restaurationsmaßnahmen am Gebäude auf Jahre drohten im Depot zu verschwinden. Stattdessen besuchen sie jetzt erst mal bis September ihre älteren Kollegen auf der Museumsinsel.
Das Kürzel „ImEx“ mit Import-Export zu übersetzen, wäre allerdings auch gar nicht so falsch. Der Impressionismus ist ja eine französische Erfindung der 1870er Jahre, und der Expressionismus gilt überall auf der Welt als urdeutsches Idiom, das seine Hochphase in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatte. Für Frankreich genau wie für Deutschland wurden diese Klischees Exportschlager.
Umgekehrt haben die jeweiligen Museen die Bilder aus dem Nachbarland importiert. Noch vor den Franzosen – darauf ist man in Berlin heute sehr stolz – war es Hugo von Tschudi, der den impressionistischen Künstlern weltweit zum ersten Mal Museumsweihen verschaffte. 1896, gerade Direktor der Berliner Nationalgalerie geworden, kaufte Tschudi in Paris ein und stellte die Franzosen in seinem Museum aus. Der Skandal war perfekt, die Ablehnung von Tschudis Kunstrevoluzzern durch den deutschen Kaiser als obersten Dienstherren war alsbald nicht mehr zu überhören.
Antiakademischer Furor
Der Impressionismus kreierte mit seinem antiakademischen Furor vielleicht das erste Mal eine wirklich moderne Malerei in Stil und Motivik. Der Impressionismus stellte dar, was er von der Wirklichkeit sah, nicht das, was die konventionellen Regeln der Akademie im Bilde sehen wollten. Maler wie Edouard Manet wurden eben deshalb zu Skandalkünstlern, weil sie genau das zeigten, was jeder im Alltag auch sehen konnte – ohne dass es den meisten Zeitgenossen damals eingefallen wäre, dies als kunstwürdig zu erachten.
Ein Paar, Mann und Frau, allein in der schwülen Atmosphäre eines mit wuchernden Pflanzen gefüllten „Treibhauses“ – so etwas galt 1879 noch als degoutant. Wer das Bild heute sieht, ahnt nicht, welch offenbar frivole bis anstößige Assoziationen dem Kunstpublikum seinerzeit dazu einfielen. Heute heißt das Bild weniger verfänglich „Im Wintergarten“, und man wird vielleicht eher die Distanz beider Menschen als eine Verführung auf dem Bild entdecken.
Eine ähnlich ablehnende Aufnahme neuer Bilderfindungen wiederholte sich später beim Expressionismus, nur dass jetzt unter den Kritikern auch so geschätzte Impressionisten wie Max Liebermann waren. Seine Einschätzung der Expressionisten lautete schlicht: „Existenzen jenseits der Zivilisation“. Doch damit hätte er wohl vielen der expressionistischen Künstler sogar geschmeichelt. Denn was den Impressionisten der Alltag war, der mit neuen Augen wahrgenommen wurde, das bedeutete dem Expressionismus die Ferne der Südsee oder das Tier in seiner kreatürlichen Existenz. Am wichtigsten war den Expressionisten wohl die unsichtbare Welt des Gefühlten und Erdachten, die sich von der äußeren Realität total unterschied. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war die sichtbare Welt allerdings ohnehin schon als Trugbild entzaubert: Röntgenstrahlen und Radiowellen verwiesen auf verborgene Wirklichkeiten.
Die expressionistische Welt ist eine Welt der Symbole und der Visionen. Ihre bunten Farben sind nicht gesehen, sondern erdacht. Es sind Symbolfarben, wie es sie im Mittelalter schon einmal gab. Ebenso sind die spitzzackigen und dürren Kokotten vom Potsdamer Platz bei Ernst Ludwig Kirchner deshalb so deformiert, weil die Figuren etwas ausdrücken wollen – daher der Name Expressionismus –, was eher unsichtbarer Natur ist, etwas Geistiges oder Affektives. Bei Kirchner sind die verschrobenen, ja hässlichen Formen direkter Kommentar auf die Widrigkeit der zivilisatorischen Verhältnisse, wie Kirchner sie 1914 sah.
Nebeneinander gehängt, wie jetzt in der Berliner Alten Nationalgalerie, sind die Unterschiede zwischen den Sinneseindrücken der Impressionisten und den Ausdruckswerten der Expressionisten aber erstaunlicherweise oft gar nicht so groß. Natürlich fehlt der Vergleich mit anderen Vertretern der Kunstgeschichte, also etwa dem von beiden Stilen abgelehnten Akademismus mit seiner rembrandtbraunen Soße auf allen Bildern. Auch beschränkt sich der Vergleich ausschließlich auf das Medium der Malerei.
Aber schon in der Gliederung der Ausstellung nach Motiven zeigt sich, dass die jüngeren Expressionisten kaum etwas Neues dazu erfunden haben. Die Freiluftmalerei als Gegenentwurf zur akademischen Ateliermalerei, die sich eher an kunsthistorischen Vorbildern orientierte, ist zum Beispiel eine Haltung, die Expressionisten wie die Dresdner Künstlervereinigung „Brücke“ mitnichten neu zu ersinnen brauchte.
In der Berliner Schau mit ihren 160 Meisterwerken konzentriert man sich am liebsten auf sich selbst. Etwa beim Thema „Stadt“: Das ist natürlich vor allem Berlin und seine Bewohner. Paris ist Vergleichsmoment. Ein expressionistisches Paris gibt es allerdings nicht, dafür aber ein impressionistisches Berlin, und zwar gut und reichlich, auch wenn die Schau nur Lesser Ury, Max Slevogt und Hans Hermann vorstellt.
Publikumslieblinge
Viele der bekannten Publikumslieblinge und großen Namen stammen aus der Sammlung der Nationalgalerie. Rund 60 Leihgaben bereichern die Auswahl und machen das vergleichende Sehen als Methode der Ausstellung anschaulich. Vieles erhellt sich so auf einfache wie schlagende Weise, etwa beim Thema „Stillleben“. Hier wirkt der Expressionismus im Grunde nur wie eine Vergröberung der Formen, was ja ohnehin beim Expressionismus als Mode immer schon eine Gefahr darstellte.
Man kann sich aber schon fragen, ob die andere, die durchseelte Welt, die der Expressionismus im Bilde vorwegnehmen wollte und die jene alte des Impressionismus mit seinen Cancan-Tänzerinnen, seinen Seerosenteichen und bürgerlichen Familienidyllen ablösen sollte, ob also der im Weltkrieg dann wirklich vollzogene Epochenbruch nicht eher die Vereitelung der expressionistischen Vision war. Untergegangen sind jedenfalls beide Welten. Heute scheinen sie uns im Bilde der Kunst nicht mehr so verschieden, wie es damals wohl aufgefasst werden musste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen