BERLINER BUDDHISMUS
: Der Kartenwarner

Er hat hier seinen Job zu machen. Und wünscht einen schönen Abend

Manche Berufe gibt es wahrscheinlich nur in Berlin. Oder genauer gesagt: Manche Berufe können wahrscheinlich nur Berliner ausüben, ohne an ihnen zu verzweifeln.

Damit meine ich richtige Berliner. Also Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind und sich diese Gemütshaltung angeeignet haben, die ich „Berliner Buddhismus“ nenne. Die Altberliner Weisheit „Nich ärjern, nur wundan“ ist Ausdruck dieser Mentalität, von der sich viele der oft leicht erregbaren Zugezogenen inspirieren lassen könnten.

Ganz klar in diesem Geiste operiert der Mann, den ich den „Kartenwarner“ nennen möchte. Ihm bin ich neulich um 11 Uhr nachts vor der Tür einer Bankfiliale am Hermannplatz begegnet. Der Kartenwarner, etwa vierzig, trägt eine dunkelblaue Jacke, die ihn als Wachmann auszeichnet – dies übrigens ein ideales Berufsbild für den Urberliner, weil hier seine buddhistische Ruhe im Umgang mit problematischen Situationen besonders gut zum Tragen kommt.

Die Aufgabe des Kartenwarners besteht darin, in den Minuten kurz vor elf Nachtschwärmer, die in der Bankfiliale Geld ziehen wollen, zu warnen. Offenbar werden um Punkt elf automatisch die Geldautomaten ausgeschaltet, „und denn steckt Ihre Karte drinne und Sie kriegn se nich mehr raus“. Diese Botschaft bringt er effektvoll an den Mann, mich hält er sogar am Oberarm fest.

Die Gelassenheit, mit der der Kartenwarner anscheinend Nacht für Nacht Menschen davor bewahrt, ihre Geldkarte zu verlieren, imponiert. Ob man nicht einfach kurz vor elf die Tür der Bank schließen könnte, ob man die Automaten ausschalten könnte, wenn die Tür zu ist – mit so müßigen Gedankenspielen befasst er sich nicht. Er hat hier seinen Job zu machen, verweist noch auf einen Automaten gegenüber, der keine Karten einzieht, und wünscht einen schönen Abend. TILMAN BAUMGÄRTEL