Ordentlich kontrastreich

WEGWEISER Avantgarde oder Mainstream, gemütlich oder riesig? Wer will, kann in den nächsten Monaten von einem Jazz-Festival zum nächsten reisen. Für jeden ist etwas dabei

■ Open Jazz Stuttgart: 3. bis 12. Juli, an fünf verschiedenen Orten, mit Künstlern der internationalen Jazz-, Blues-, Soul und Pop-Szene, www.jazzopen.com

■ Jazz in the Garden: Jüdisches Museum Berlin, mit Picknickkorb, Liegestuhl und Programm für die ganze Familie, www.jmberlin.de

■ Summer Jazz Hilden: Jazz-Workshop vom 27. Juli bis 1. August, www.summerjazz-hilden.de

■ Summer Jazz Pinneberg: 6. bis 9. August, sieben Bühnen in der Stadt, die musikalische Bandbreite reicht von Blues, Boogie-Woogie, Dixieland, Swing, Bebop, Modern Jazz, Fusion, Latin bis hin zu Soul und Funk, www.summerjazz.de

VON MATTHIAS WEGNER

Privatier müsste man sein oder Pensionär mit dicker Geldbörse. Oder so was Ähnliches. Die nächsten Wochen könnte man pausenlos von einem großartigen Jazzfestival zum nächsten reisen. Es gilt wieder: Nach dem Festival ist vor dem Festival, wobei der einfache Fan wohl leider Entscheidungen treffen muss: Besuche ich ein Festival wegen des Ortes oder tatsächlich wegen des Programms? Möchte ich es groß und rauschhaft oder lieber klein und gemütlich? Bin ich eher konservativ drauf oder mag ich die musikalische Offenheit? Ein wenig Orientierung soll bei der Auswahl helfen.

Wer es musikalisch besonders aufmüpfig und riskant liebt, ist über Pfingsten in Moers sehr gut aufgehoben. Das frühere Hippie-Avantgarde-Festival am Niederrhein hat den Umzug aus dem alten Zirkuszelt – dem einst größten in Europa – in die umgebaute Tennishalle erstaunlich gut hinbekommen. Wer hätte das gedacht? Immerhin 2.000 Besucher finden in der neuen Halle Platz. Der Sound ist besser als je zuvor – und sogar atmosphärisch funktioniert der Ort verblüffend gut. Das Programm ist dieses Jahr in alter Moers-Tradition wieder ordentlich kontrastreich.

Der schwer angesagte amerikanische Ausdauer-Saxofonist Colin Stetson stellt vier sehr unterschiedliche Projekte vor, darunter sein mitreißendes Trance-Duo mit Sarah Neufeld, der Geigerin der kanadischen Indie-Rock-Band Arcade Fire. Außerdem soll der 72-jährige Avantgardist Michael Mantler zeigen, was er noch draufhat, nachdem er bereits in den 1960er Jahren den Jazz revolutioniert hat. Der Trompeter Wynton Marsalis fragt ja immer mal wieder schelmisch: „Wie lange ist Avantgarde eigentlich Avantgarde?“ Aber das ist eine andere Geschichte. Und dann findet sich im Moers-Programm noch ein echter Exot: der eklektische Einzelgänger Dean Blunt. Großes Spektrum! Großes Kino?

Ein paar Tage nach Moers setzt das Hamburger Elbjazz-Festival auf eine ganz andere Jazzsprache: auf die Kommunikation mit Pop- und Clubmusik und vor allem auf viele großen Namen des Mainstream-Jazz, die zum Teil exklusiv nach Hamburg kommen. Zum Beispiel: Der jamaikanische Pianist Monty Alexander und die afroamerikanische Sängerin Dee Dee Bridgewater, die dem Festival zu großer Ausstrahlungskraft verhelfen.

Der Hauptort direkt auf einer Werft im Hamburger Hafen ist ohnehin unschlagbar. Und wenn nicht – wie im letzten Jahr – gemeine Unwetter die Besucher wegzuspülen drohen, dann kann man hier eine großartige Zeit haben.

Wer vom Riesenprogramm überfordert ist und einen Tipp braucht: Zum ersten Mal wird die bezaubernde amerikanische Sängerin Cecile McLorin Salvant in Deutschland vor einem großen Publikum zu hören sein. Auf so eine Sängerin hat die Jazzwelt lange warten müssen. Sie verkörpert eine Intensität und Emotionalität, die es seit Billie Holiday – oder sagen wir – seit Nina Simone nicht mehr im Jazzgesang gegeben hat. Versprochen!

Das abgespeckte Pendant zur grandiosen Hafenkulisse in Hamburg ist in Berlin die gemütliche Industriearchitektur in der Berliner Kulturbrauerei. Im dortigen „Kesselhaus“ findet Anfang Juni zum 9.Mal das viertägige Festival „Jazzdor“ statt, mit vielen deutsch-französischen Uraufführungen. Festival-Leiter Philippe Ochem bastelt Jahr für Jahr neue Konstellationen und hat dabei fast immer ein glückliches Händchen. In diesem Jahr treffen unter anderem die Pianistin Julia Hülsmann und die mittlerweile in New York lebende Saxofonistin Charlotte Greve auf hungrige Franzosen. Das könnte was werden!

Die Jazzbaltica am Timmendorfer Strand wiederum fokussiert sich ab Anfang Juli wieder auf ihre Kernkompetenz und präsentiert vor allem Musiker aus dem Ostseeraum. Soll heißen: viele skandinavische Musiker, aber natürlich auch deutsche prägen das Programm. Zum Beispiel der hervorragende Gitarrist Arne Jansen. Der lebt zwar, wie so viele gute Jazzer, mittlerweile in Berlin, aber er kommt eigentlich aus Flensburg.

Auch wenn früher mehr Amerikaner bei der Jazzbaltica aufschlugen: ganz ohne sie geht es dann doch nicht und das ist auch gut so. Einer der Headliner ist in diesem Jahr der amerikanische Saxophonist Maceo Parker. Dogar mit 72 Jahren bringt der frühere Busenfreund von Funk-Godfather James Brown („Blow, Maceo! Blow!“) sein Instrument zum Glühen und die Leute zum Tanzen. Und während die bereits erwähnte Dee Dee Bridgewater das Elbjazz Festival für sich erobern wird, will ihre Tochter – die ebenfalls singende China Moses – kurz danach die Jazzbaltica aufmischen. Warum nicht?!

Das Schöne in der deutschen Jazzfestival-Landschaft ist, dass die wichtigsten Veranstalter wieder stärker auf ein eigenes Profil setzen. Die Zeiten sind vorbei, in denen dieselben Künstler überall auftreten. Durchdachte Konzepte sind gefragt, dramaturgische Meisterleistungen, Exklusivität. Und deswegen lohnt auch der Jazztourismus. Ich sollte diesen schnell als Patent anmelden. Oder lieber nicht?! Jazzfans sind sehr große Individualisten.

■ Moers Festival: 22. bis 25. Mai, Elbjazz Hamburg: 29. & 30. Mai, Jazzdor Berlin: 2. bis 5. Juni, Jazzbaltica: 2. bis 5. Juli