Parteien im Mittelfeld

DEMOKRATIE Nach fünfzig Prozent Wahlbeteiligung in Bremen und vierzig Prozent in Bremerhaven wirft die taz die Frage auf, wie besorgniserregend diese Entwicklung ist, wenn Parteien ununterscheidbar werden und Wähler meinen, keine Wahl zu haben

■ betr.: „Erosion der Demokratie“, taz vom 12. 5. 15

Vor der rot-grünen Wende 1998 sah ich ein Wahlplakat, darauf ein Kind mit Trümmergebiss: „SPD wählen, damit man die Armen nicht an den Zähnen erkennt.“ Dieses Plakat beeindruckte mich als Wechselwähler und Willi-Brandt-Fan so sehr, dass ich SPD wählte. Dann kamen Harz IV, die Gesundheitsreform, und Putin, dem ich schon immer wegen seines Machogehabes misstraute, wurde zum lupenreinen Demokraten.

Nichts hat mich so enttäuscht wie die SPD. Bei einem Sigmar Gabriel, der sich für TTIP und Braunkohle einsetzt, bar jeder Zukunftsvision, im Gegensatz zu Willi Brandt, würde man nicht merken, ob er in der CDU oder SPD Mitglied ist. Wie die Welt aussehen könnte, stellt man sich nur bis ans Ende der Wahlperiode vor.

Ich gehe trotzdem wählen und habe das auch meinen Kindern mitgegeben, weil Menschen ihr Leben gegeben haben, damit wir wählen können. Es käme mir wie ein Verrat an den Vorkämpfern der Demokratie vor. Lieber ungültig als gar nicht. CHRISTOPH KROLZIG, Öhningen

■ betr.: „Erosion der Demokratie“, taz vom 12. 5. 15

Wenn die Zeit sich im Leitartikel vor der Krise gruselt und die taz nun auf Seite eins die Erosion der Demokratie beklagt, frage ich mich, wozu das führen muss. Die einzige Antwort, der Ruf nach „echten“ Alternativen, klingt ja zunächst wie ein Allgemeinplatz von der AfD, trotzdem scheint hier der Grund zu liegen: Wenn man eine andere Partei als die Kanzlerin wählt, muss sich auch wirklich etwas ändern. Konkret muss das heißen: Erstens und vor allem anderen die Verteilungsfrage klären. Es muss umverteilt werden, Spitzensteuersätze müssen höher sein, als es die seichten Entwürfe von Roten, Roten und Grünen 2013 sanft andachten. Und das wird unbequem, deshalb schrecken die Mandatsinhaber aller Parteien davor zurück.

Natürlich drängen, zweitens, auch ökologische Probleme, aber das haben gute Leute überall begriffen und der Dissens ist hier nicht so groß. Für die Grünen verbietet es sich deshalb, sich darauf zurückzuziehen, denn verglichen mit dem ersten Punkt ist dies ein Nebenschauplatz.

Drittens rührt die Krise offensichtlich nicht von Muslimen und Ausländern her, die uns überfremden würden. Aber WählerInnen müssen das verstehen können, müssten gebildet sein und keine Angst haben – womit wir wieder bei der Verteilungsfrage sind. Bildung und Teilhabe muss allen möglich sein, eine Politik, die sich da nicht rantraut, ist jetzt schon überflüssig.

Und um Ihre Frage, was das für die Grüne Partei heißt, zu beantworten: Eine Alternative anzubieten, die eine gerechtere Politik eröffnet, heißt: Die Grünen müssen die Koalition mit der CDU unbedingt ausschließen! Eine zweite CDU braucht nämlich nicht nur kein Mensch. Sie ließe das größte aller politischen Probleme bewusst liegen. Grüne, die sich dafür hergeben, kann man nicht wählen. Dann aber wäre das Projekt auch gestorben.

Und was das für die taz heißt? Bitte nicht regelmäßig die heimliche bürgerliche Lust an Schwarz-Grün bedienen; Alternativen mehr Raum bieten; nachfragen, wo sich linke Parteien bewegen müssten. Ihr könnt doch sonst auch aktiv Wege zum besseren Leben suchen, warum nicht hier?

PETER DAHLHAUS, Köln

■ betr.: „Zwei Klassetypen“, taz vom 9. 5. 15

Man muss Astrid Geisler danken, dass sie im Gegensatz zu Herrn Unfried Robert Habeck als Realo eindeutig benennt und nicht auf das Gewäsch von der Flügellosigkeit des neuen grünen Kandidaten hereinfällt. Wer seiner eigenen Partei einen „Hang zur Überheblichkeit und Impertinenz“ nachsagt und im selben Atemzug die fernreiselustigen SUV-Fahrer auf dem Weg zum Biomarkt als die neue grüne Kernklientel ins Auge fasst; wer das staatliche Einnahmedefizit und die fehlende Vermögensbesteuerung nicht anprangert, sondern „vernünftig sparen“ will, obwohl Staaten eben nicht Privatleute sind und staatliches Sparen immer die Schwachen trifft, der ist keine neue Hoffnung, sondern ein ganz normaler Karrierist.

Wir sollten rational Angst vor den Folgen unseres Handelns haben. Diese Angst hat früher dazu geführt, dass FCKWs verbannt und Katalysatoren eingeführt wurden und schließlich sogar der Atomausstieg beschlossen wurde. Damals haben die Grünen rationale Ängste in die Debatte eingeführt und aus der Opposition heraus Macht ausgeübt – durch Argumente. Im Zeitalter der „Politikberater“, vulgo in der Ära der schleichenden Entpolitisierung und marktkonformen Demokratie, gilt es als „Zumutung“, den Wähler mit seinem irrationalen Handeln zu konfrontieren. Auch Habeck will keine neuen Diskurse bestimmen oder die Menschen einfach dadurch aufrütteln, dass er sagt, wie es ist.

Einige gutverdienende Grünwähler gehören zu den schlimmsten Umweltsündern des Landes – sie leben in zu großen Wohnungen, produzieren ständig neuen Elektroschrott, den sie Konzernen abkaufen, die keinerlei Steuern zahlen; sie fliegen zu viel, sie kaufen vermeintliche Bioprodukte aus aller Welt statt regional. Wenn Herr Habeck Mut hätte, würde er diesen Leuten sagen: „Ihr könnt gerne Grün wählen, aber rechnet nicht damit, dass ihr so weitermachen könnt. Wir wollen eine gute, glückliche Gesellschaft bauen, deren Glück nicht im verantwortungslosen Konsumieren und im Weltfressenden Wachstum besteht. MICHAH WEISSINGER, Essen

■ betr.: „Arm, abgehängt, ohne Stimme“, taz vom 12. 5. 15

Der Artikel war gut und wieder mal notwendig. Aber alle Demokraten sollten etwas dagegen tun, dass die sogenannte Unterschicht auch in Bezug auf Teilhabe immer mehr abgehängt wird. Mit Nicht-Wählen schwindet zugleich der Anreiz für jede Partei, auf diese Gruppen zuzugehen. Die Demokratie insgesamt wird ausgehöhlt. Was tun? Die bisherigen Versuche wirken rührend hilflos. Doch vielleicht sollte man es mal profan mit dem Geldbeutel versuchen. Entgegen Vermutungen wirkt sich eine geringe Wahlbeteiligung zumeist nicht negativ auf die Wahlkampfkostenerstattung aus. Wir bräuchten wohl eine variable Obergrenze, die an die Wahlbeteiligung gekoppelt ist: je höher, desto mehr Geld gibt’s insgesamt. Ob ein finanzieller Anreiz ausreicht, weiß ich auch nicht, aber vielleicht sollte man es auch im Sinne der Demokratie mal ausprobieren. THOMAS ZULEGER, Berlin

■ betr.: „Hier stimmt was nicht“, taz vom 12. 5. 15

Man muss über die Folgen von Befragungen unmittelbar vor Wahlen nachdenken. Weil alle Medien vor der Bremer Wahl teils hämisch, teils sachlich berichteten, in Bremen werde sich sowieso nichts ändern, haben viele Leute gar nicht gewählt. Nur wer daran dachte, was Nichtwählen für radikale Parteien, also die Bürger in Wut und die AfD, ein bisschen auch für die von der parteilosen Verpackungsdame angepriesene FDP bedeutet, hat trotzdem gewählt. Wäre es um Protest gegangen, hätten die Protestparteien viele Stimmen bekommen. Haben sie aber nicht, sondern nur von der geringen Wahlbeteiligung profitiert. Im Übrigen ist eine geringe Wahlbeteiligung keine Katastrophe, sondern auch ein Hinweis auf eine Zufriedenheit, die sich leisten kann, dass alles beim Alten bleibt. ULRICH FINCKH, Bremen