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Hochgeschwindigkeitszüge nach Sanremo

RADKLASSIKER Am Samstag beginnt der Giro d’Italia – Alberto Contador strebt Double aus Giro und Tour an

Zumindest Radtouristen werden den Auftakt der 98. Auflage des Giro d’Italia ins Herz schließen. Denn die 21 Profiteams tragen ihr Mannschaftszeitfahren von San Lorenzo al Mare nach Sanremo auf einer der idyllischsten Radwanderwege dieses Planeten aus: einer stillgelegten Bahnstrecke. Auf der einen Seite lockt das blaue Meer, auf der anderen sind malerische Höhenzüge und ringsum sprießen Blumen.

Die Giro-Starter selbst werden von der Szenerie wohl nicht so viel mitbekommen. Sie müssen auf dem schmalen Parcours eher aufpassen, dass ihre Hochgeschwindigkeitszüge nicht vom Damm rutschen.

Ein rosa Trikot, mehr nicht

Entschieden wird bei diesem einleitenden Mannschaftszeitfahren am Samstag über 17,6 Kilometer sowieso nichts. Es dient nur dazu, jemandem das rosa Trikot zu überreichen. Das freut die Sponsoren; denjenigen, der es erhält, natürlich auch.

Wer es am Ende in der Expo-Stadt Mailand tragen wird, ist ebenso leicht prognostizierbar wie der Verlauf der Proteste gegen die umstrittene Weltausstellung: Alberto Contador hat sich mit der Einhaltung mancher Exerzitien auf das Rennen vorbereitet. „Ich habe wie ein Mönch trainiert, allein im Höhentrainingslager am Teide auf Teneriffa. Das war hart, aber ich kenne den Druck und trage große Verantwortung“, erzählte er spanischen Journalisten. Contador hat das Double aus Giro und Tour de France im Blick. Ein historisches Unterfangen, das zuletzt Marco Pantani 1998 gelang. Vermeiden will Contador auf jeden Fall, bereits bei Teil eins zu scheitern.

Die eher mäßige Konkurrenz spielt ihm dabei in die Karten. Weder die Toursieger Chris Froome und Vincenzo Nibali noch der aufstrebende Rundfahrtstern Nairo Quintana haben sich für die Corsa Rosa eingeschrieben. Nominell härtester Gegner ist Astanas Jungstar Fabio Aru. Der kam letztes Jahr aus dem Nichts auf Platz drei und soll nach Einschätzung der Astana-Betreuer ein noch größeres Potenzial als Chef Nibali haben. Bei diesem Giro fährt er erstmals als Kapitän. Ein Virus warf ihn im April aber zurück. Der junge Italiener versicherte, den Trainingsrückstand aufgeholt und genug Muskelmasse gesammelt zu haben. „Zum Glück liebe ich es zu trainieren. Ich habe mich damit abgefunden, weniger Rennen zu fahren und mehr zu trainieren. Das wird sich in Zukunft sicher ändern. Aber 2014 hat das schon gute Ergebnisse gebracht, und auch jetzt war der Aufbau gut“, erklärte er zuversichtlich. Die eine Woche Trainingsausfall im April lässt aber daran zweifeln, ob er Contador ernsthaft gefährden kann.

Momentan am besten in Form ist der Australier Richie Porte. Er legte einen phänomenalen Saisonauftakt mit Rundfahrtssiegen bei Paris–Nizza, der Katalonienrundfahrt und dem Giro del Trentino hin. Genau das dürfte beim Giro aber das Problem werden. Eine so gute Form noch länger zu konservieren gelingt selten. Und über drei Wochen hat der Sky-Mann bislang nicht überzeugt.

Der dritte im Bunde der potenziellen Double-Suppen-Versalzer ist Rigoberto Uran. Dem kolumbianischen Zeitfahrmeister kommt das Monsterzeitfahren über 59,2 km im Reiche der Prosecco-Kelterer des Veneto sicher entgegen. Der zweimalige Giro-Zweite zeigte in den vergangenen Jahren aber nicht die Souveränität, die einen Sieger ausmacht. Nur bei groben Fehlern Contadors kann er das oberste Treppchen erklimmen.

Das reduziert die Aufgabe für den Spanier genau darauf: Fehler vermeiden. Dieser Angst besetzte Ansatz ist aber keine gute Voraussetzung für ein dramatisches Rennen. Der sonst so anarchisch frische Giro droht zum Pflichterfüllungskurs zu werden.

TOM MUSTROPH

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