„Dies ist meine Rache an den Nazis!“

KONZERT Die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano (90) tritt zum 70. Jahrestag der Kapitulation mit den Kölner Rappern der Microphone Mafia auf – damit nie vergessen wird, was im Nationalsozialismus geschah

Wenn Esther Bejarano und Microphone Mafia gemeinsam auftreten, prallen Welten aufeinander: „Orient trifft Okzident, die Jüdin den Moslem, die Atheistin den Christen, Süd trifft Nord, alt trifft jung, Frau trifft Mann, Tradition trifft Moderne, Folklore trifft Rap, Hamburg trifft Köln, ausdrucksstarke Stimmen treffen auf geniale Musiker, Spannung trifft auf Harmonie, Herz trifft Verstand, die Familie Bejarano trifft Microphone Mafia – und alle arbeiten gleichberechtigt nebeneinander.“ Am Tag der Befreiung vom Nazifaschismus treten Bejarano und die Microphone Mafia gleich zweimal auf: um 17 Uhr beim Gedenk- und Friedensfest auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche und abends um 19.30 Uhr im Südblock am Kottbusser Tor (Kreuzberg).

■ Bejarano & Microphone Mafia: Gedenk- und Friedensfest an der Gedächtniskirche, Breitscheidplatz, 8. Mai, 17 Uhr; Südblock, Admiralstr. 1–2, 8. Mai, 19. 30 Uhr

VON MALTE GÖBEL

Esther Bejarano rächt sich eigentlich gleich mehrfach: Sie hat nicht nur überlebt, hat nicht nur ihr Schweigen gebrochen um die Erinnerung wachzuhalten. Sie nimmt sich auch noch etwas anderes heraus: „Ich habe das Recht, fröhlich zu sein und zu singen.“ Sie steht nicht mahnend mit erhobenem Zeigefinger auf der Bühne. Sondern sie singt. Und hat eine souveräne, fröhliche Ausstrahlung, die alle beeindruckt. „Musik ist mein Mittel, nicht traurig zu sein. Ich will die Leute anspornen, selbst etwas zu tun.“

Solch ein Projekt gab es noch nie und wird es nie wieder geben: Esther Bejarano spielte im Mädchenorchester von Auschwitz, überlebte so den Holocaust. Heute, mit 90 Jahren, nimmt sie mit den Kölner Rappern der Microphone Mafia CDs auf und geht mit ihnen immer wieder auf die Bühne. „Diese Rap-Methode ist ganz aktuell“, erklärt sie. „Die Jugend fährt darauf ab.“ Für sie ist der HipHop ein Mittel, junge Menschen zu erreichen. „Ich will erzählen, wie es damals war.“

Lange konnte sie das nicht. Lange nach dem Krieg wollte sie nicht über das reden, was sie erdulden musste. Geboren wurde Esther Bejarano 1924 in Saarlouis als Tochter eines Oberkantors. Sie ist die Jüngste, Spitzname „Krümel“, und bekommt mit sechs Klavierunterricht. Die Nazis reißen später ihre Familie auseinander, 1941 kommt sie ins Arbeitslager, 1943 nach Auschwitz, da ist sie 18. Sie wird als arbeitsfähig sortiert, kahl geschoren, muss sinnlos Steine schleppen. Dann gibt sie vor, Akkordeon spielen zu können – und wird in das Mädchenorchester aufgenommen, das an den Gleisen spielt, wenn die neuen Züge ankommen. Tausende sieht sie in den Tod gehen.

1945 kommt sie ins KZ Ravensbrück, kann auf einem Todesmarsch entkommen. Und überlebt so. Sie verlässt Deutschland in Richtung Israel, wird dort aber nicht heimisch und kehrt 1960 zurück. Sie lässt sich in Hamburg nieder, einem Ort, mit dem sie keine Erinnerungen verbindet. Über ihre Vergangenheit spricht sie nicht. Bis Mitte der 1970er. Da baut eine Partei vor ihrem Stoffladen einen Stand auf. Die NPD. „Da wusste ich, ich kann nicht länger schweigen.“

Bejarano geht es nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Gegenwart. „Es ist eine Katastrophe, was sich gerade tut. Bei Pegida kriechen sie wieder aus den Löchern, sie leugnen, marschieren. Für mich ist das ganz schlimm.“ Sie spricht über den NSU-Skandal, kann nicht verstehen, warum der Prozess so lange dauert. Und es gibt Aktionen der Nazis, die es nicht in die Zeitungen schaffen. „Wenn ich als Zeitzeugin eine Schule besuchen soll, meldet sich immer die NPD. Sie rufen an, schreiben Briefe, man möge mich ausladen.“

Doch Esther Bejarano gibt nicht klein bei. „Es ist immer eine Überwindung, darüber zu sprechen, wie es damals war.“ Aber sie sieht es als ihre Pflicht. „Dies ist meine Rache an den Nazis – und es ist wunderbar. Was kann es besseres geben, als die damalige Zeit nicht zu vergessen?“

Zur Zusammenarbeit mit der Microphone Mafia kam es Ende der Nullerjahre. „Damals verteilten Nazis ihre Musik-CDs in den Schulen, und wir wollten etwas dagegensetzen“, erzählt Esther Bejarano. Der DGB brachte sie und die Kölner Rapper zusammen: Kutlu Yurtseven, Signore Rossi und DJ Önder hatten Ende der 80er ihre Band Microphone Mafia gegründet und diverse Alben veröffentlicht. Nun sampleten sie die Musik von Esther Bejarano und ihrer Kinder Joram und Edna, gemeinsam brachten sie 2009 die CD „Per la vita“ („Für das Leben“) heraus.

Es folgten mehr als 200 Liveauftritte und 2013 die zweite gemeinsame Platte „La vita continua“ („Das Leben geht weiter“). „Wir sind drei Religionen auf der Bühne, drei Generationen, was will man mehr?“, sagt Esther Bejarano. Vor jedem Konzert liest sie aus ihrem Buch „Erinnerungen“, das 2013 im Laika-Verlag erschienen ist.

Und das Musikprojekt ist äusserst erfolgreich. Interviewanfragen kommen sogar aus China und Indien. Nun wurden Bejarano und die Microphone Mafia sogar zu Konzerten in die USA eingeladen, danach würde sie gern nach Kuba reisen. „Ich hoffe, dass ich das schaffe!“ Sie ist 90, eine zerbrechliche Dame, aber ungebrochen. „Ich werde das weiterführen, solange ich kann.“