Wo die wilden Frauen wohnen

PUBERTÄT Am Jungen Schauspiel Hannover schickt Intendant Lars-Ole Walburg eine Amazone auf der Suche nach einem Mann auf die Erde. Der 14-jährige Held David lässt sich gerne verführen. Der parodistische Gehalt der Geschichte bleibt allerdings unterbelichtet

Beim ersten Kuss flackert das Licht, die funkelnden Lampen verlöschen fast ganz

Man stelle sich einen Planeten vor, auf dem nur Frauen leben. Männer sind als niedere Lebensform von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Nur ab und an werden Agentinnen entsandt, um Vertreter des anderen Geschlechts von der Erde zu holen – die Unglücklichen werden dann zwecks Fortpflanzung in einer Art Zoo auf Vorrat gehalten. Zelda ist eine der Reisenden. Ihr Zielobjekt ist Johnny Depp – sogar auf ihrem Amazonen-Planeten hat die Sehnsucht aller Mädchen nach dem smarten Amerikaner überlebt.

Klingt wie eine Parodie auf den Feminismus der militanteren Natur? Ist es auch! Autor Gary Ghislain hat die bizarre Story ausgerechnet während einer Zugfahrt durch Schweden ersonnen, im Angesicht der ganz irdischen, nordischen Walküren, wie der 43-Jährige schmunzelnd gesteht. Heraus gekommen ist das Buch mit dem langen Titel „Wie ich Johnny Depps Alien-Braut abschleppte“.

Ghislain steht voller Vorfreude im Foyer der Ballhof-Bühne des hannöverschen Schauspielhauses. Dort hat Intendant Lars-Ole Walburg persönlich am Sonntag den Jugendbuch-Erfolg zur Uraufführung gebracht. Leider interessiert ihn als Regisseur die bissige, politische Parodie in Ghislains Story weniger. Dafür setzt er ganz auf die Pubertätsverwirrungen des Erdlings David. Der 14-Jährige, gespielt vom smarten Jonas Steglich, verliebt sich in die Alien-Braut – und ist, wie das in diesem Alter so ist, völlig auf ihren extraterrestrischen Körper fixiert.

Wie die ewigen Bahnen der Gestirne ziehen die Requisiten des Stückes ihre Kreise. Sie hängen an einer geschwungenen Deckenschiene – wie in einer überdimensionierten Reinigung sieht das aus. Darunter kämpft die patente Sophie Krauß als eine sehr irdische Zelda im Bikini gemeinsam mit David und ihren eigenen Gefühlen. Beim ersten Kuss flackert das Licht, die rötlich-funkelnden Lampen verlöschen fast ganz.

Emanzen auf der Jagd

Als David kurz zur Seite tritt und hypnotisiert konstatiert, „ich küsse ein Mädchen“, züngelt die Amazonen-Zelda mit ihrer Alien-Zunge ins Leere. Sie macht einfach weiter mit ihrem angeblichen Gen-Test, denn natürlich empfindet sie mehr für den Jungen auf dem Weg zum Mann. Und das trotz jahrelanger Indoktrination auf dem Planeten der Männer-Hasserinnen.

Dessen Scherginnen verfolgen das Paar unerbittlich. Immer wieder tauchen sie im UV-Licht mit Zombie-Fratzen und bösen Lauten hinter einem riesigen Tor an der Hinterwand der Bühne auf: the walking dead der Radikal-Emanzen. Schade nur, dass Walburg dieser gesellschaftlichen Dimension des Stoffes nicht mehr Raum gibt, sondern sich ganz auf die durchknallenden Synapsen der Teenager-Zeit konzentriert.

So etwas geht natürlich gerade im Jungen Schauspiel immer auf. Und es ist auch wirklich rührend, zu erleben, wie Zelda Spaß daran findet, den emotional explodierenden David zu streicheln. Der hat sie extra an seinen Lieblingsplatz am Strand mitgenommen, weit weg von seiner notorisch überspannten Mutter, die den eigentlichen Alien in diesem Kosmos gibt – und von dem im Sessel zusammengesunkenen Psychotherapeuten-Vater, der zwar immer reflektiert redet, aber David damit beim Entdecken seiner Männlichkeit mitnichten eine Hilfe ist.

Ein solides Stück Junges Schauspiel für Teenager – und dabei vor allem für Jungs – ist das. Die können mit Sicherheit ihren Blick auf die Welt mit dem Bühnengeschehen synchronisieren. Doch als am Ende die Schauspieler aus ihren Rollen treten und Geschichten über vergessene Kondome aus ihrer Jugendzeit erzählen, würden wir gerne den Blick wieder gen Weltall richten, dahin, wo die wilden Frauen leben.  ALEXANDER KOHLMANN

nächste Vorstellungen: 2., 11., 15. Mai, Junges Schauspiel Hannover