BESEELTE KÖRPER
: Flohmarkt

Ich verkaufe keine Produkte, sondern Sehnsüchte

Die beiden Rollkoffer, die ich hinter mir herziehe, hinterlassen dröhnend eine Schleifspur auf dem Kopfsteinpflaster. Es klingt wie der Soundtrack der Gentrifizierung, ich antizipiere bereits die genervten Blicke der Anwohner. Dabei sind in den Koffern nur harmlose Secondhandwaren: Kleidung, CDs und Bücher. Relikte aus einem alten Leben, die aus ihrem ignorierten Dasein befreit werden wollen.

Auf dem Flohmarktgelände begrüßt mich der Leiter, ein jung gebliebener Alt-Hippie, mit Händedruck. Die feuchtkalte Luft hat meine Fingerknochen gefrieren lassen – genauso wie die Lust, hier die nächsten acht Stunden zu verbringen. Doch bereits nach einer Stunde reiben sich Hunderte von Kauflust beseelte Körper eng aneinander und sorgen für eine sedierende Wärme, während ein gnadenlos reinholzender Salsa-Beat sommerliche Unbeschwertheit simuliert.

Die musikalische und kulinarische, von pseudoalternativen Foodständen produzierte Stimmungsmodulation entfaltet ihre Wirkung: Überall wird fleißig gegessen, gehandelt und gekauft. Nur nicht bei mir. Den skeptischen Blicken nach zu urteilen, gehen meine Klamotten nicht mal als Hipster-Trash durch.

Ich sollte meine Strategie ändern. Ich verkaufe keine Produkte, sondern Sehnsüchte, denke ich, und grinse meinen Nachbarinnen zu, die gerade ihren vierten Joint anzünden. Kurz darauf steht ein Mann vor meiner CD der Krautrockband Popol Vuh. „Tolle Platte“, schwärmt er. „Ja, stimmt“, entgegne ich, versuche, meiner eingefrorenen Mimik ein Lächeln zu entlocken, und bekomme plötzlich gute Laune. Die Menschen hier, flüstert mir mein Über-Ich zu, sind eigentlich einsam, und der Marktbesuch, eine der wenigen verbliebenen Plattformen für unverbindliche Gespräche, gibt ihnen das Gefühl, Mensch zu sein. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal einfach Smalltalks verkaufen, für 1 Euro pro Einheit. PHILIPP RHENSIUS