Zutaten aus der Natur

WILDWUCHS Zwei Hamburger Biologinnen zeigen, wie man sein Essen aufpeppen kann – ohne in den Supermarkt zu müssen. In ihrem Buch „Hamburgs wilde Küche“ haben sie Rezepte zusammengestellt, deren Zutaten sich am Wegesrand sammeln lassen

VON FRIDA KAMMERER

Ein strahlend heller Frühlingstag. Endlich ist es so warm draußen, dass man sich morgens keine Jacke mehr mitnehmen muss. Durch die Sonne wirken die Pflanzen so hellgrün, als wären sie mit einem Textmarker angemalt.

Heute soll es bei Lore Otto Waffeln geben. Andere Menschen gehen dafür höchstens in den Supermarkt. Otto geht dafür die Straße entlang, bis in eine Sackgasse. Dahinter ist ein weites Weidefeld. Gerade will sie erklären, wie die Schranke, die den Autos den Weg versperrt, dahin gekommen ist – da unterbricht sie sich selbst im Satz und läuft weiter auf die Wiese. Sie hat ein paar Spitzwegeriche gefunden. Und Brennnesseln – eine Hauptzutat für ihre Dinkel-Brennnesselwaffeln. Otto zieht ihre gelben Spülhandschuhe an, um die Brennnesseln zu pflücken. Praktischerweise wachsen die Nesseln auf einem angeschütteten Hügel. Da gehen weder Hunde zum Urinieren drauf, noch kann ein Auto drüberfahren. Perfekt also für die Waffeln. „Immer nur so viel nehmen, dass es gar nicht auffällt“ – das ist das Motto beim Pflücken in der Natur.

Auch auf die Natur selbst muss man aufpassen. „Wenn ich da kleine Löcher an den Blättern sehe, weiß ich, dass da Raupen sind oder waren. Dann suche ich mir lieber eine andere Stelle. Ich kann mir viel schneller was Neues suchen als so eine kleine Raupe“, sagt Otto. Auch das sieht Otto als ihre Aufgabe – den Leuten vermitteln, wie sie sich in der Natur bewegen, ohne sie zu schädigen.

Seit zwei Jahren ist sie zertifizierte Bildungspartnerin für Nachhaltigkeit. Ihr Antrag war der erste bei der Stadt Hamburg. Der Antrag ihrer Freundin und Kollegin Katharina Henne war der zweite. Die Brennnesseln auf dem angeschütteten Hügel sind alle lochfrei – man kann sie also bedenkenlos pflücken. Gewaschen werden die gepflückten Pflänzchen hinterher trotzdem, auch wenn sie vermutlich abgas- und urinfrei sind.

Otto ist eigentlich Diplom-Biologin. So wie Katharina Henne. Zusammen haben sie ein Buch geschrieben: Hamburgs wilde Küche. Das entstand weniger aus Leidenschaft fürs Kochen als wegen der Nachfrage: Otto und Henne geben seit Längerem Kochkurse, bei denen man erst gemeinsam die Zutaten sammeln und pflücken geht und sie dann zubereitet. Immer wieder wurde in den Kursen nach weiteren Rezepten gefragt. „Hätte mir jemand nach meiner Diplomarbeit gesagt, dass ich mal ein Buch schreibe … Dem hätte ich einen Vogel gezeigt!“, sagt Otto und lacht.

Zu dem Buch hatten Otto und Henne viele Ideen, aber wie macht man eigentlich ein Buch? „Self publishing“, also ein Buch in absoluter Eigenregie zu veröffentlichen, fiel schon früh raus. Dafür wussten beide zu wenig vom Buch-Geschäft. Die nächste Idee war via „Startnext“ Geld von Unterstützern zu sammeln. Der Verleger Klaas Jarchow sollte Otto und Henne eigentlich nur den Betrag ausrechnen, den die beiden für ihr Projekt auf Startnext sammeln wollten. Doch schließlich wollte Jarchow das Buch selber verlegen. Dafür hat er extra einen Verlag gegründet – den KJM Buchverlag.

Otto hat mittlerweile genug Pflanzen für die Waffeln zusammen: Brennnesseln für die Waffeln selbst, Giersch und Bärlauch auf Vorrat. Angst haben, dass man etwas Falsches pflückt, muss man kaum. Selbst Pflanzen, die als giftig gelten, müssen nicht gleich tödlich sein. Auch wenn man sie natürlich nicht absichtlich essen sollte. Die Beeren vom Aronstab gelten als giftig und reizen vor allem die Schleimhäute im Mund – und wenn man sie verschluckt, natürlich auch im Magen. Tödlich sind sie jedoch nicht. Vogelbeeren kann man sogar, entgegen der landläufigen Meinung, essen. Bestimmte Züchtungen haben sogar kaum Bitterstoffe, so lässt sich aus ihnen ein Chutney kochen.

Manche Pflanzen trocknet Otto bewusst, andere kann man am besten frisch verwenden. Länger lagern kann man die meisten Gewächse kaum. Aber das macht nichts, Otto sieht es als einen Teil der eigenen Entschleunigung. Was da ist, ist da. Was keine Saison hat, gibt es eben nicht. Trotzdem stehen Karotten senkrecht in einem Glas in Ottos Küche. Die gibt es aber erst wieder im Sommer in Deutschland. „Manchmal muss ich halt Nicht-Saisonales kaufen“, gibt Otto zu. Ihr Mann und ihr Sohn würden sonst streiken.

Ansonsten landet alles auf dem Tisch, was in der näheren Umgebung wächst: Giersch, auch Geißfuß genannt, Bärlauch, Spitzwegerich, Brennnesseln, Löwenzahn, Knoblauchsrauke … Die Gerichte im Kochbuch sind alle vegetarisch. Otto meint, das sei nachhaltiger, einfacher und gesünder. Man kann es ja immer noch durch Fleisch ergänzen – wie sie selbst es macht.

„Ich hab da mal was vorbereitet“, sagt Otto und holt dunkelbraunen Waffelteig aus dem Kühlschrank. Für den Waffelteig fehlen nur noch die Brennnesseln – und etwas Milch. Die gewaschenen Brennnesseln und die Milch kommen in den Zerkleinerer. Die Brennnesselmilch kommt in den Teig. Aus dem Waffeleisen zischt es und eine Dampfwolke steigt auf.

Der Teig riecht beim Ausbacken wie normaler Teig. Noch merkt man von den Brennnesseln nichts. In der fertigen Waffel sind grüne Fetzen zu sehen – innen mehr als außen, denn durch die Kruste vom Ausbacken und durch das sowieso dunklere Dinkelmehl verschwindet das Grün. Die Waffeln schmecken leicht nussig, dabei kann man keine besondere Nuss zuordnen, es wäre wohl irgendwas zwischen Hasel- und Walnuss. Dazu gibt es eine Limonencreme aus Schmand und geschlagener Sahne. „Wirklich vegan ist das jetzt nicht“, sagt Otto leicht verlegen. Aber das kann ja schließlich jeder halten, wie er möchte.

Lore Otto/Katharina Henne: „Hamburgs wilde Küche“, KJM Buchverlag, 128 Seiten, 16 Euro

Der nächsten Kurs „Hamburgs wilde Küche – Wildkräuter und Wildfrüchte“ findet am 6. Juni statt. Anmeldung und Infos unter: www.gut-karlshoehe.de