RUHEABTEIL
: Streit vorm Frühstück

„Sie quatschen hier alle zu, gehen sie doch raus!“, sagt sie

„Schri-Schra-Schreibblockade“, singe ich innerlich, als der ICE in Spandau hält. Das weiße Blatt vor mir starrt mich an. Gegenüber sitzt eine Frau, die mit ihren Kopfhörern spricht. Sie macht irgendwas mit Mode, spricht über Blusen, mal auf Deutsch, dann auf Russisch. Ihre Armreifen klimpern, wenn sie über ihr iPad wischt. Vor ihr ein Notizbuch, aus dem Stoffproben lugen. „Allo? Allo?“, ruft sie. Hihi. Tunnel.

Eigentlich ist es ja das Ruheabteil. Aber so kann ich meine Unfähigkeit, das Blatt zu füllen, auf sie schieben. Und sobald wir aus Berlin draußen sind, erledigt sich das durch die schlechte Verbindung von selbst. Eine Frau ist in Spandau zugestiegen und vertreibt einen Mann in Socken aus der Sitzgruppe nebenan. Sie entschuldigt sich. Er entschuldigt sich auch. Ein älterer Herr hilft ihr mit der Tasche. Sein Stöhnen lässt vermuten, dass er sich überschätzt hat.

Die Zugestiegene sortiert sich noch, als zwei Reihen hinter mir eine Frauenstimme übertrieben laut vorliest. Irgendwas mit Antike. Dann sagt sie „asozial“. Als ich mich umdrehe, steht sie schräg gegenüber mit dem Buch in der Hand und sieht über die Sitzlehne vor ihr. Ein Herr um die vierzig telefoniert. „Sie quatschen hier alle zu, gehen Sie doch raus“, sagt sie, übertrieben anklagend. Er: „Hör auf!“ Kurz ist er ruhig, sie redet weiter, dann sagt er: „Hör auf, oder ich klatsch dir eine!“ Ein mulmiges Gefühl macht sich in meiner Magengegend breit. Ich vertrage keinen Streit, bevor ich gefrühstückt habe. „He, he“, sagen mehrere Fahrgäste. „Fresse“, sagt er. Die Berlin-Spandau-Frau fragt laut, was das hier für eine Kultur sei. „Soll ich dann mit dir aussteigen?“, sagt der leger, aber durchaus gut gekleidete Mann. „Jetzt reicht’s aber“, sagt irgendwer. „Was?“ sagt der Lauttelefonierer fordernd. Dann wird es ruhig. Unangenehm ruhig, aber ruhig. Endlich. „Schri-Schra-Schreibblockade“, tönt es in meinem Kopf. SASKIA HÖDL