Das Dilemma mit den Impfstoffen

PRÄVENTION Weil die Zahl der Neuinfektionen sinkt, mangelt es an Studienteilnehmern, um Impfstoffe gegen Ebola zuzulassen

BERLIN taz | Es war ein für die Pharmaforschung beispielloser Kraftakt. Arzneimittelhersteller, nationale wie internationale Zulassungs- und Gesundheitsbehörden, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie akademische Forscher trieben seit dem Herbst die Erprobung von Impfstoffen gegen Ebola voran: Daten zu möglichen Impfstoffkandidaten gegen die tödliche Viruserkrankung wurden zusammengetragen, bewertet und weiterentwickelt – um sie ab dem Winter 2014/2015 erstmals an Menschen in Europa, den USA und Afrika auf ihre Sicherheit und Wirksamkeit zu testen. Zuvor wurden die potenziellen Impfstoffe aufgrund des geringen Interesses der Weltgemeinschaft spärlich und bestenfalls im Tierversuch getestet.

Die Hoffnungen des britischen Herstellers GlaxoSmithKline und des US-Pharmaunternehmens MSD waren groß, im Laufe des Jahres 2015 ihre beiden Impfstoffe ChAd3-ZEBOV und rVSV-ZEBOV zur Zulassung zu bringen; beide befinden sich in der allerletzten klinischen Testphase. Doch jetzt, auf den letzten Metern, könnte das ehrgeizige Projekt scheitern: Es mangelt an nötigen Studienteilnehmern, damit die Hersteller den Nachweis erbringen können, dass ihre Impfstoffe wirken – also die Krankheit tatsächlich verhindern. „Die Zahl der Neuerkrankungen sinkt erfreulicherweise. Ohne Erkrankungen aber können wir die Wirksamkeit nicht zeigen“, sagte der GSK-Impfstoffexperte Jens Vollmar am Dienstag in Berlin auf einer Konferenz des Verbands forschender Arzneimittelhersteller.

Insgesamt 27.000 Menschen aus Liberia, Guinea und Sierra Leone sollen an der seit Februar laufenden Studie teilnehmen, ein Drittel soll den GSK-Impfstoff erhalten, ein Drittel den MSD-Impfstoff und ein Drittel ein Placebo. Eine solche Datenbasis gilt als Voraussetzung, um wissenschaftlich seriöse Aussagen machen zu können. Bislang aber konnten lediglich rund 800 Personen rekrutiert werden. Es sei also möglich, dass die Studien während der laufenden Ebola-Epidemie gar nicht wie geplant zu Ende gebracht werden können, sagte die MSD-Virusforscherin Vanessa Witte.

Damit stehen nicht bloß die Hersteller, die dreistellige Millionenbeträge in die aktuelle Ebola-Forschung investiert haben, vor einem Dilemma: Auch die Zulassungsbehörden müssen nun entscheiden, ob sie die Impfstoffe trotz der mangelhaften Datenlage genehmigen. Ethisch wie medizinwissenschaftlich wäre ein solches Vorgehen höchst fragwürdig. Denn beim nächsten Ebola-Ausbruch würden dann womöglich großflächig Impfstoffe produziert und eingesetzt, von denen nicht bekannt ist, ob sie Menschen tatsächlich vor Ansteckung schützen. „Theoretisch denkbar ist es dennoch“, sagte eine Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, der deutschen Zulassungsbehörde für Impfstoffe, der taz. Die Zulassung werde dann davon abhängig gemacht, ob, welche und wie viele Antikörper sich nach der Impfung gebildet hätten. Die Hersteller würden darüber hinaus verpflichtet, nach der Zulassung weitere Studien nachzureichen.

HEIKE HAARHOFF