Piksende barocke Pracht

Die Sachsen sind mörderisch stolz auf das wieder eröffnete Federzimmer Augusts des Starken in Schloss Moritzburg. Damals, als exotische Vogelfedern en vogue waren, erwarb der Kurfürst die Pracht, um die sich noch immer zahlreiche Legenden ranken

„Für das Föhnen verwendeten wir einen alten DDR-Staubsauger“

von GEORG ETSCHEIT

Die Sachsen sind ein geschichtsbewusstes Völkchen. Ohne August den Starken läuft nichts, vor allem in Dresden, wo der Barockpotentat allseitige Verehrung genießt. Gerade in wirtschaftlich wenig erbaulichen Zeiten wie diesen erweist sich der Rückgriff auf den verblichenen Glanz der Wettiner nicht nur als Gewinn bringend, sondern auch als Identität stiftend, zumal nach dem Abgang von Ersatzkönig Kurt in der mit einem goldenen Krönchen verzierten Staatskanzlei am Elbufer nüchterne Nachwende-Normalität eingezogen ist.

Manchmal freilich neigen die Sachsen, wenn es um ihre Geschichte geht, zu Übertreibungen. Jüngst stand der Freistaat tagelang Kopf, als in Schloss Moritzburg bei Dresden das so genannte Federzimmer Augusts des Starken nach jahrelanger Restaurierung wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Das barocke Repräsentationsgemach aus zwei Millionen echten Vogelfedern wurde sogar mit dem legendären Bernsteinzimmer in St. Petersburg auf eine Stufe gestellt – vielleicht doch ein wenig zu viel der Ehre für die flauschige Pracht.

Ursprünglich handelte es sich bei dem Federzimmer um ein, wie eine alte Inventarliste vermerkt, „von allerhand bunten natürlichen und gemahlten Federn kostbar gewirktes Bette“. August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, erwarb die noble Schlafstätte 1723 in London von dem gebürtigen Franzosen Le Normand, der eine neue Technik zur Herstellung schmucker Federteppiche erfunden hatte: Er webte die Federn in einen Stoff regelrecht ein. Damals waren exotische Vogelfedern en vogue – das europäische Federhandwerk blühte. Zum nächtlichen „Gebrauche“ hatte der Fürst sein kostbares Bett offenbar aber nicht ausersehen, auch wenn der Geschichtsexperte einer Dresdner Boulevardzeitung Männerfantasien erblühen lässt und von einer Mätresse des Königs raunt, die geklagt habe, das Bett pikse fürchterlich, „wenn man unten liegt“. Die Quellenlage hierzu darf als unsicher gelten. Mit ziemlicher Sicherheit hat weder August der Starke noch irgendeine seiner zahllosen Mätressen jemals eine Nacht in dem Bett zugebracht.

Die absolutistische Devise lautete nämlich: „Mehr zum Staat als zum Gebrauche“. Wobei darauf hinzuweisen ist, dass in damaliger Zeit auch ein Bett zur Zwecken der Repräsentation genutzt wurde. Man denke nur an das zeitraubende morgendliche levé am Hof des französischen Sonnenkönigs. Deshalb wohl ließ August die Vorhänge abtrennen und zur Ausschmückung eines repräsentativen Gemachs im Japanischen Palais seiner Residenzstadt Dresden als Wandtapeten anbringen. So entstand das Federzimmer. Nach dem Tod des Königs änderte sich die Mode, die Begeisterung für das Paradezimmer ließ nach. Gewissermaßen als unmodisches Stiefkind wurde es über die Jahre mitgeschleppt und gelangte 1830 nach Moritzburg. In dem feuchten Wasserschloss war es dem Siechtum preisgegeben. Aggressives Sonnenlicht, Pilzbefall, Schädlingsfraß und Staub zehrten an dem barocken Kunstwerk aus Federn von Hühnern, Enten, Pfauen, Eichelhähern und Fasanen. Um die textile Ruine vor dem endgültigen Verfall zu bewahren, wurde das Federzimmer 1972 im Depot eingelagert. Seither geriet es in Vergessenheit; Fachleute hielten es für nicht restaurierbar. Erst als zwei Dresdner Textilrestauratorinnen Mitte der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts einen Weg fanden, die Federteppiche und Verzierungen auf ebenso schonende wie effektive Weise vom Schmutz der Jahrhunderte zu befreien, begannen die Rettungsarbeiten, die sich, mit Unterbrechungen, über 16 Jahre hinzogen.

Heute präsentiert sich das Federzimmer in einem klimatisierten Raum im Erdgeschoss von Schloss Moritzburg beinahe in alter Pracht. In der Mitte des Raums steht das Prunkbett, flankiert von zwei gläsernen Lüstern. Die Wände sind mit den gerahmten Federteppichen dekoriert. Fehlende Teile des Ensembles, wie etwa die Tagesdecke, wurden durch einen neutralen Stoff behutsam ersetzt. Die Einrichtung des Federzimmers, zu dem es eine recht informative Ausstellung zur Geschichte des Zimmers gibt, wirkt allerdings noch ein wenig karg. „Wir überlegen zurzeit, ob wir das Zimmer mit nachgefertigten Lackmöbeln ausstatten sollen“, sagt Ingrid Möbius, Direktorin von Schloss Moritzburg. „Dabei sind wir allerdings auf Spekulationen angewiesen. Die Quellen zum ursprünglichen Erscheinungsbild des Federzimmers sind dünn.“ Leider hindert den Besucher ein gläserner Erker vor der Eingangspforte daran, dem delikaten Federkleid zu nahe zu kommen.

So beschränkt sich der Kontakt aufs Optische, was freilich auch seinen Reiz hat. Schließlich war das Federzimmer seit je zum Anschauen gedacht. Und wo käme man hin, wollte jeder dahergelaufene Tourist – seit der Eröffnung im Frühjahr kamen mehr als 50.000 Menschen – handgreiflich werden.

Die wundersame Wiederauferstehung des Federzimmers ist zu einem nicht unbedeutenden Teil einem Staubsauger aus weiland volkseigener Produktion zu verdanken. Zuerst wuschen die Restauratorinnen Cornelia Hofmann und Birgit Tradler die Federteppiche in einem mit speziellen Tensiden versetzten Wasserbad. Dann kam der aufwändigste Teil der Prozedur, eine wahre Sisyphusarbeit. Stück für Stück mussten die einzelnen Federn mit einer Pinzette angehoben und unter einem starken Luftstrom trocken geföhnt werden. Andernfalls hätten sie zusammengeklebt und hätten einen traurig zerrupften Eindruck gemacht. „Für das Föhnen verwendeten wir einen alten DDR-Staubsauger mit einem starken Rückstoß. Ein handelsüblicher Föhn wäre zu schwach gewesen“, erinnert sich Hofmann. Erstmals wurde 1998 der fertig restaurierte Baldachin im Dresdner Stadtmuseum der Öffentlichkeit gezeigt. „Der Zuspruch des Publikums war überwältigend“, sagt Hofmann. „Das gab uns den Mut, weiterzumachen.“

Die Jahre der Restaurierung nutzten Hofmann und Tradler, der von Legenden umsponnenen Geschichte des Federzimmers auf den Grund zu gehen. Dass das Federbett ursprünglich ein mexikanischer Königsthron gewesen sei, erwies sich als Unsinn. Ebenso die Mär, der spanische König habe August dem Starken das Kunstwerk als Preis dafür überlassen, dass dieser während einer Kavalierstour durch Frankreich und Spanien bei einem Stierkampf in Madrid einem Stier den Schädel gespalten habe. Die historische Wahrheit lag näher: Le Normand hatte das von ihm gefertigte Paradebett in dem Journal Le Nouveau Mercure schlicht zum Kauf angeboten – und der allem Teuren und Schönen ergebene August wollte sich das opulente Stück nicht entgehen lassen.

Die Hirngespinste hatten freilich sichtbare Konsequenzen: In den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts platzierte man auf dem Bett einen prunkvollen Thronsessel, weil man es fälschlicherweise für ein Thronpodest hielt. Und die am historischen Materialismus geschulten DDR-Historiker mokierten sich über ein bedrückendes Zeugnis mexikanischer Indianersklavenarbeit. Bis heute ist der Legendensumpf nicht trockengelegt. Eine Dresdner Boulevardzeitung wusste noch 1996 empört zu berichten, dass angebliche Nachfahren der Maya-Ureinwohner das Federzimmer vom Freistaat Sachsen zurückgefordert hätten. Da ist er dann wieder, der Stolz der Sachsen auf ihr historisches Erbe. Wer sich daran zu vergreifen versucht, bekommt es zumindest mit der Klatschpresse zu tun.

Schloss und Federzimmer sind geöffnet von April bis Oktober, täglich von 10.00 bis 17.30 Uhr. www.schloss-moritzburg.de Buchtipp: Cornelia Hofmann, Birgit Tradler: „Das Federzimmer Augusts des Starken“. Dresden 2003, 28,00 €