: Von Shakespeare keine Spur
NIEDERSACHSEN Der Fußballklub Hannover 96 entlässt seinen Trainer Tayfun Korkut. Die meisten Fans und Nichtfans in Deutschland finden das langweilig. Völlig zu Unrecht
VON HARTMUT EL KURDI
Mein Freund Fritz Eckenga eröffnete mal als Dortmunder und geborener BVB-Fan einen Kabarettauftritt in Hannover mit der schönen Frage: „Ich weiß nicht, ob sie sich hier in Hannover für Fußball interessieren. Warum auch?!“ Dann folgte eine Reihe feiner Gedichte zum Ballsport, deren Schönheit, Eleganz und Witz sich die nun etwas beleidigten Hannoveraner nach anfänglicher Reserviertheit schließlich doch ergeben mussten.
Mal abgesehen davon, dass man sich als Dortmunder im Moment nicht wirklich aus dem Fenster hängen sollte, bleibt die Kernfrage: Warum glaubt eigentlich der Rest des Landes, dass Hannover so unglaublich öde wäre, dass man hier noch nicht mal Leidenschaft für Fußball entwickeln könnte?
So wurde gestern der 96-Trainer Tayfun Korkut entlassen, und das mediale Echo außerhalb der niedersächsischen Landeshauptstadt klang in etwas so: „Hä? Wer? Wo? Ach so. Na ja …“ Wohingegen das Trainer-Elend beim HSV oder der Kloppo-Abgang beim BVB wie Shakespeare’sche Dramen behandelt werden.
Um das mal klarzustellen: Ja, Hannover ist langweilig. So wie Essen, Frankfurt und Stuttgart langweilig sind. Das hängt damit zusammen, dass das gottverdammte beschissene Leben öde ist. Ab und zu gibt es ein paar aufregende Ausreißer: einen tollen Job, Drogen, Liebe, Sex, Auffahrunfälle, Berlin, London. Wobei ich neulich in Berlin-Marienfelde war: Mein lieber Scholli! Dann lieber Hannover!
Vor allem scheinen die Menschen unter Fußball-Dramen-Demenz zu leiden. Was war hier fußballerisch in den letzten Jahren nicht alles los: die große Depression nach Robert Enkes Suizid, der Fastabstieg mit knapper Rettung durch Mirko Slomka, darauf folgend ein überraschender Phoenix-aus-der-Asche-artiger Höhenflug mit einem anschließenden 4. Platz, direkt hinter Bayern München. Die Teilnahme an der Europa League. Oder in der letzten Saison: Das große Heulen und Zähneknirschen nach der 0:3-Niederlage gegen den tabellenletzten Erzrivalen Eintracht Braunschweig … So viel Emotionen, wie Hannover 96 in den letzten Jahren provoziert hat, fühlt der Niedersachse sonst in seinem ganzen Leben nicht.
Oder schauen wir uns den aktuellen 96-Manager an: Der Hörgeräte-Akustiker Martin Kind, der mit einem geschätzten Vermögen von 600 Millionen Euro auf Platz 188 der reichsten Deutschen steht. Der Mann mit dem Stefan-Raab-Gebiss hat den Charme eines Schakals und steht für eine Komplettkommerzialisierung des Fußballs.
Die Profiabteilung von Hannover 96 soll nach seinen Plänen zur Saison 2017/18 vollständig in die Hand von Investoren übergehen, womit der eigentliche Traditionsverein Hannover 96 e. V. nicht mehr in der Bundesliga vertreten wäre. Man wünschte sich tatsächlich einen langweiligeren, mediokren Präsidenten und keinen so finsteren Strippenzieher. Seit 1997 steht Kind an der Spitze des Vereins, nur kurzzeitig unterbrochen von einem Gastspiel des ehemaligen Gerhard-Schröder-Kompagnons und Hells-Angels-Rechtsanwalts (!) Götz von Fromberg.
Einem Präsidenten wie Kind schlagen keine Sympathien entgegen. Auch deswegen braucht es einen strahlenden Trainer. Korkut hätte einer sein können. Ein fleißiger, charmanter Schwabe mit türkischen Wurzeln und internationalem Flair. Ein gut gekleideter und kommunikationsbereiter Sonnyboy. Nur muss man hin und wieder gewinnen. Das ist die Krux im Profifußball.
Über wen wird nun diskutiert: Neururer, Finke, sogar Lothar Matthäus sollen im Gespräch sein. Was aber täte Hannover nun gut? Kind will überprüfbaren Erfolg. Logisch. Was 96 vor allem aber braucht, ist jemanden zum Lieben. Klopp fällt leider aus. Wer einmal in Dortmund mit den Fans im Bett lag, muss schon in die Türkei oder nach Brasilien gehen, um noch etwas zu spüren. Aber groß genug wäre die Herausforderung. Auch Niedersachsen dürfen kurz mal träumen.
Leibesübungen SEITE 19
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