Fregatten statt Frontex

PERSPEKTIVE Solange Flüchtlingen der legale Zugang in die Europäische Union verweigert wird, wird es im Mittelmeer immer wieder Schiffsunglücke mit vielen Toten geben

Über 170.000 Menschen erreichten 2014 Italien, offiziell ertranken im selben Zeitraum etwa 3.600

AUS BERLIN CHRISTIAN JAKOB

Als im vergangenen Herbst mal wieder 500 Menschen vor Libyen ertrunken waren, meldete sich der Weltverband der Seenotretter zu Wort. „Wir tun unser Möglichstes“, schrieb die International Maritime Rescue Federation (IMRF), in dem neben NGOs wie der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) auch die Küstenwachen organisiert sind. „Aber das zugrunde liegende Problem kann nicht auf See gelöst werden.“

Gemeint war: Solange Menschen, die für sich keine andere Perspektive sehen, der legale Zugang nach Europa verweigert wird, wird es immer wieder Schiffbrüche wie in diesen Tagen geben. Die Frage ist, wie damit umgegangen wird.

Nach einem spektakulären Schiffsunglück im Oktober 2013 hatte die italienische Regierung die Marinemission Mare Nostrum gestartet. Ein neuer Verband, die 29. Gruppo Navale, wurde eingerichtet. Er bestand aus einem Landungsschiff, das bis zu vier schwere Transporthubschrauber mit sich führt, zwei Fregatten, vier kleine Kriegsschiffe mit Bordhubschraubern, zwei Patrouillenboote mit Landemöglichkeiten für Helikopter; mehrere Transportschiffe, Cessna-Aufklärungsflugzeuge mit Wärmebildkameras, Seeaufklärer und Drohnen der Luftwaffe.

Bis in libysche Gewässer patrouillierte der Verband. Es war ein Novum – und ein substanzieller Beitrag zur Lebensrettung. Doch auch mit noch so viel Aufwand könnten nicht alle Unfälle verhindert werden. Über 170.000 Menschen erreichten 2014 Italien, offiziell ertranken im selben Zeitraum etwa 3.600. Eine erschreckende Zahl, doch ohne „Mare nostrum“ hätte es weit mehr Opfer gegeben.

Auf 9,3 Millionen Euro im Monat bezifferte Italien die Kosten für das Programm. Die EU beteiligte sich über Sondermittel ihrer Grenzschutzagentur Frontex mit rund einem Zehntel der Kosten. Italien war das viel zu wenig – zumal das Land sich gemäß der sogenannten Dublin-Regel um alle geretteten Flüchtlinge allein kümmern muss.

Der Streit eskalierte. Nach einem Gipfel von Italien, Frontex und der EU-Kommission am 27. August 2014 in Brüssel wurde „Mare nostrum“ eingestellt – die EU wollte die Kosten nicht mittragen. Allerdings hat Rom seine Marine angewiesen, trotzdem weiter zu retten – selbst außerhalb der eigenen Gewässer.

Gleichwohl fordert Rom ebenso wie etwa der UNHCR eine neue Rettungsmission – aufgestellt von der EU. Hieran sollten sich, so stellen es sich die meisten Befürworter der Idee vor, alle Mitgliedsstaaten beteiligen, und zwar sowohl finanziell als auch mit Personal und Material.

Da diese wohl umfangreicher ausgestattet sein müsste als „Mare nostrum“, könnten Kosten in einer Größenordnung von 15 Millionen Euro im Monat anfallen. Aufs Jahr gerechnet wären das 180 Millionen Euro – oder 30 Cent je EU-Bürger.

„Wir haben natürlich eine ganze Menge an Fähigkeiten und können schnell agieren“, sagt Frank Martin, der Sprecher der deutschen Marine zur taz. Seenotrettung sei allerdings keine hoheitliche Aufgabe der Bundeswehr. „Aber wenn die Politik sagt, wir sollen das machen, dann schauen wir, was wir tun können.“ Bislang gibt es keine Anfrage an die Marine – Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte erst kürzlich jede Neuauflage von „Mare nostrum“ als Beihilfe für das „Schlepperunwesen“ abgelehnt.

In den Aufwendungen für eine Rettungsmission sind natürlich die Folgekosten für die Versorgung der Geretteten nicht eingerechnet – und die sind das eigentliche politische Problem. Denn ob sie nun auf Schlepperbooten oder Marineschiffen kommen – grundsätzlich stellt sich die Frage, wohin Migranten dann gehen sollen. Seit Monaten wird über einen Verteilungsschlüssel für irreguläre Migranten in der EU debattiert. Demnach müssten sich alle Staaten gemäß ihrer Wirtschaftskraft an den Kosten für Ankommende beteiligen – und nicht bloß, wie heute, jene, die das Pech haben, an den Außengrenzen zu liegen.

De Maizière bekommt mittlerweile Druck. Auch in der SPD mehren sich Stimmen, die die bisherige Politik des Ertrinkenlassens für nicht mehr vertretbar halten. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), forderte am Montag nicht nur ein EU-Seenotrettungsprogramm, sondern auch „humanitäre Visa“ für Bürgerkriegsflüchtlinge. Die Idee: Flüchtlinge sollen in Transit- oder Herkunftsstaaten zu den Botschaften der europäischen Länder gehen und eine Erlaubnis zur Einreise beantragen können.

Dann könnten sie reguläre Fähren – etwa von Tunis nach Palermo – besteigen und in der EU einen Asylantrag stellen. Schlepperkosten und die lebensgefährliche Überfahrt würden überflüssig. Hierzu bedürfte es keiner Gesetzesänderung: Das deutsche Recht etwa sieht die Möglichkeit zur Erteilung von Visa aus humanitären Gründen bereits vor – sie wird aber nicht genutzt. NGOs wie die Initiative Watch the Med, die ein Alarmtelefon für Bootsflüchtlinge betreibt, fordern deshalb „Fähren statt Frontex“.

Längst nicht alle Toten stammen aus Kriegsgebieten. Auf den untergegangen Booten etwa fuhren auch Senegalesen oder Gambier, die als Arbeitsmigranten unterwegs waren. Für sie gibt es kaum Möglichkeiten, legal in die EU zu gelangen – obwohl durchaus Verwendung für sie wäre. Programme zur Arbeitsmigration aus Drittstaaten, wie sie bislang nur für Menschen mit besonderer Qualifikation existieren, könnten den Druck auf irreguläre Migrationsrouten senken.