Als die SED ihre selbstkritische Phase hatte

DRAMA DDR Das Berliner Ensemble präsentiert in einer neuen Lesereihe „Vergessene und verbotene Theaterstücke der DDR“. Darunter eine Satire des großen Dramatikers Heinar Kipphardt über die Kulturbürokratie der DDR

Alfred Matusche nannte sich selbst einen „betenden Kommunisten“

VON BARBARA BEHRENDT

Es ist nicht so, dass an Berliner Theatern keine Stücke von Autoren aus der DDR auf dem Spielplan stünden: Das Deutsche Theater etwa gibt Peter Hacks und Georg Seidel, am Maxim Gorki hat Armin Petras Werner Bräunigs Roman „Rummelplatz“ für die Bühne adaptiert. Und doch kommt die Beschäftigung mit der DDR-Dramatik, einmal abgesehen von dem noch immer viel gespielten Heiner Müller, über vereinzelte Aktionen nicht hinaus. Zu Unrecht?

Dieser Frage will das Berliner Ensemble nun mit einer Serie von Lesungen nachgehen. Ab dem 10. Januar werden Schauspieler jeden Monat „vergessene und verbotene Theaterstücke der DDR“ präsentieren. „Kirsch, Groß, Plenzdorf, Seidel, Strahl, Braun, Weicker, Schütz, Berg, Walsdorf,“ heißt es in großen Lettern am Gartenhaus des Theaters. Nicht nur bei den vorbeiflanierenden Touristen werden viele Namen nur ratloses Achselzucken auslösen.

„Wir wollen gerade nicht die großen Theaterskandale nachzeichnen, die sind hinreichend bekannt“, erklärt Manfred Karge sein Konzept der Serie, die er zusammen mit dem Dramaturgen Hermann Wündrich verantwortet. „Aber ein Großteil der DDR-Literatur wurde ja ganz bewusst unter den Teppich gekehrt.“ Der Regisseur und Schauspieler Manfred Karge, heute fast 75, ist ein jahrzehntelanger Wegbegleiter von Claus Peymann. Ans BE wurde er noch zu DDR-Zeiten von Helene Weigel geholt, hier entstand auch das berühmte Regieduo „Karge/Langhoff“. An der Volksbühne, am Schauspielhaus Hamburg und während Peymanns Intendanz am Bochumer Schauspielhaus inszenierten Manfred Karge und Matthias Langhoff als Regietandem.

Mit vielen Autoren, die er nun vorstellen möchte, hat Karge früher gearbeitet. „Meine politische Bildung wurde geprägt durch Leute dieser Zeit wie Anna Seghers und Hanns Eisler.“ Manche Stücke hat er selbst fast vergessen, einige Autoren sind auch ihm unbekannt: „Das ist das Schöne an dieser Reihe: Wir machen selbst Entdeckungen dabei.“

Den Anfang macht an diesem Donnerstag das weithin unbekannte Frühwerk eines namhaften Dramatikers: „Shakespeare dringend gesucht“ von Heinar Kipphardt. Seinen größten Erfolg hatte Kipphardt mit dem Stück „In der Sache J. Robert Oppenheimer“, das er später, 1964, nach dem Verlassen der DDR, in München schrieb, ein Dokumentardrama über die Verantwortung der Wissenschaftler beim Bau der Atombombe. Bis 1958 war Kipphardt als Chefdramaturg unter Wolfgang Langhoff am Deutschen Theater engagiert, hier schrieb er jene Satire über die Kulturbürokratie der DDR, die nun am BE gelesen wird. Einige Tage nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 wurde sie am Deutschen Theater uraufgeführt – die SED hatte ihre selbstkritische Phase und zeichnete Kipphardt für „Shakespeare dringend gesucht“ sogar mit dem Nationalpreis der DDR aus.

Im Stück sucht der Chefdramaturg eines Stadttheaters händeringend ein neues Drama und schreibt einen Stückewettbewerb aus. Doch die eingereichten Beiträge nennt er „dramatische Leitartikel eines Vierzehnjährigen“ oder einen „Kuhmagen, nur, dass statt Gras Gedanken wiedergekäut werden“. In der Figur des Intendanten, der seinen etwas chaotischen Dramaturgen fragt: „Warum verstehen wir es nicht, die Arbeit des Geistes zu präzisieren wie die Arbeit eines Kumpels in einem Hammerwerk?“, persiflierte Kipphardt seinen damaligen DT-Chef Wolfgang Langhoff. Eine treffsichere, manchmal etwas klamottige Farce auf eine engstirnige Kulturbürokratie – Karge und Wündrich haben diesen Text, der auch Assoziationen an den heutigen Kulturbetrieb zulässt, zu Recht aus der Versenkung geholt.

Einen ganz anderen Ton schlägt Alfred Matusche in „Kap der Unruhe“ an. Das späte Stück des SED-kritischen Außenseiters steht am 23. Februar auf dem Programm der Lesebühne – ein philosophisches Drama um den Einzelgänger Kap, einen Kranführer, der sich nicht im gemachten Plattenbau-Nest – Geliebte, Musiktruhe und Fernseher inklusive – niederlassen will. Ein Suchender, der vom Leben mehr fordert als Zweckmäßigkeit, der den Mangel an Schönheit, Liebe, Kunst und Freiheit wütend beklagt, die Übersättigung und den Stillstand. Es ist ein poetisches, trauriges, bedrückendes Stück, das weit über seine Zeit hinaus weist. 1968 wurde es in Potsdam uraufgeführt, nur fünf Jahre später starb Matusche, der sich selbst einen „betenden Kommunisten“ nannte. Bertolt Brecht erklärte „jede Zeile“ Matusches für „wahr“, für Heiner Müller war er „das große Kind des DDR-Theaters“. Heute ist er so gut wie vergessen.

■ Heinar Kipphardt, „Shakespeare dringend gesucht“, 10. Januar, 19.30 Uhr, Gartenhaus Berliner Ensemble