Tragödien auf dem Meer

FLÜCHTLINGE Kentern und Kämpfe an Bord: Wieder sind Menschen bei der Fahrt übers Mittelmeer gestorben

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Erneut sind im Mittelmeer zwischen Italien und Libyen zahlreiche Tote zu beklagen. Nach der Tragödie, bei der am Sonntag beim Untergang ihres Schiffs 400 Menschen starben, melden Italiens Behörden ein zweites Unglück, dem 41 Personen zum Opfer fielen. Auf einem dritten Boot schließlich sollen muslimische Passagiere christliche Mitfahrer angegriffen und zwölf von ihnen über Bord geworfen haben.

Vier Überlebende, die von einem italienischen Schiff gerettet worden waren, sagten aus, auf ihrem Schlauchboot, das am Samstag von der libyschen Küste abgefahren sei, hätten sich 45 Personen befunden. Am Dienstag dann sei ihr Boot gekentert, alle anderen seien ertrunken.

Ebenfalls mit einem Schlauchboot war am Samstag eine 105-köpfige Gruppe von Afrikanern aus verschiedenen Subsaharaländern in See gestochen. Nach ihrer Ankunft im Hafen von Palermo sagten mehrere Nigerianer und Ghanaer aus, am Sonntag sei ein heftiger Streit an Bord ausgebrochen, der schließlich in dem Mord an zwölf Mitfahrern gegipfelt sei. Ein 17-jähriger Nigerianer berichtete zunächst den Mitarbeitern der Hilfsorganisationen und dann der Polizei, Ursache des Streits seien religiöse Motive gewesen.

Einer der muslimischen Mitfahrer habe sich darüber erregt, dass ein Christ laut betete. Zunächst hätten mehrere Muslime erst diesen Mann, dann auch weitere christliche Mitfahrer attackiert, sie zusammengeschlagen, dann über Bord geworfen und dem Tod im Meer überlassen; unter den Toten seien auch drei seiner Freunde, erklärte der 17-Jährige. Die anderen Christen hätten sich nur retten können, weil sie energischen Widerstand leisteten und sich alle miteinander unterhakten. Eine Stunde später dann seien sie gerettet worden, weil sich das italienische Schiff näherte, das sie schließlich an Bord nahm.

Diese Aussage wurden von diversen anderen Personen an Bord bestätigt, die von der Polizei vernommen wurden. Die Tageszeitung La Repubblica zitiert einen der Zeugen mit den Worten, die Muslime seien „wie besessen gewesen, sie schrien: ‚Allah ist groß‘ und griffen alle an, die versucht hatten, ihr erstes Opfer zu verteidigen“. Aufgrund dieser Angaben nahm die Staatsanwaltschaft Palermo schließlich 15 Personen als mutmaßliche Täter in Haft; im Haftbefehl wird ihnen Mord mit dem erschwerenden Tatbestand religiöser Motive vorgeworfen. Ein weiterer Zeuge sagte aus, die Täter hätten alle aus frankofonen Ländern gestammt, aus Mali, dem Senegal, der Elfenbeinküste, sagte aber seinerseits laut einem Bericht des Corriere della Sera, über das den Streit auslösende Motiv wisse er nichts, „vielleicht waren wir zu viele an Bord“.

Insgesamt etwa 11.000 Menschen wurden seit letztem Samstag von italienischen Schiffen aufgenommen; sie werden in Zeltlagern, Sporthallen und anderen provisorischen Unterkünften untergebracht, während die örtlichen Behörden Süditaliens nicht mehr wissen, welche Lösungen sie ergreifen können.

Am Freitag jedoch musste die Marine zu einem völlig anders gearteten Einsatz ausrücken. In der Nacht, kurz nach 3 Uhr, hatte ein libysches Patrouillenboot etwa 90 Kilometer vor Misurata den italienischen Fischkutter „Airone“ aufgebracht. Ein oder zwei Libyer gingen an Bord des Kutters, der von dem libyschen Schiff auf den Haken genommen und Richtung Misurata abgeschleppt wurde. Nach ersten Berichten gelang es den sieben Besatzungsmitgliedern der „Airone“ jedoch, den oder die Libyer unter Deck einzusperren. Zugleich war ein Schiff der italienischen Marine zu Hilfe geeilt; kurz vor 13 Uhr dann meldete die Marine, sie habe die Kontrolle an Bord des Kutters übernommen und damit den Entführungsversuch vereitelt.