Lieber Ferdinand,

zum 78. Geburtstag Herzlichen Glückwunsch

Von ganzem Herzen gratulieren wir Dir. Wir wünschen Dir alles, alles Gute, viel Erfolg und beste Gesundheit.

Es gibt viele Leute, die endlos reden, obwohl sie nichts zu sagen haben – dass es auch anders geht, das beweist Du als Aufsichtsratschef des Volkswagen-Konzerns auf eindrückliche Weise. Ein Mann, dessen Wort Gewicht hat, braucht keine langen Reden. Manchmal reicht ein klares Ja oder Nein, ein Dafür-gibt-es-kein-Geld oder Wer-träumen-will-gehört-ins-Bett. Oder er lanciert einen Satz in ein bereitwillig mitmachendes Magazin, den mittlerweile jeder Volkswagen-Mitarbeiter und jeder Wirtschaftsjournalist auswendig kann: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“

Dass Du mit diesen sechs Wörtern Deinen langjährigen Weggefährten, den derzeitigen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, in aller Öffentlichkeit erledigen willst – geschenkt. Ein Machtkampf ist kein Ponyhof, und im Vergleich zu manchem Oligarchen handelst Du als VW-Patriarch geradezu human: Wer in Ungnade fällt, wird mit Worten zur Seite gebracht – nicht mit Kugeln, Klingen oder Gift.

Ohne Dich wäre VW heute nicht das, was es ist: ein Weltkonzern aus Wolfsburg, der mit Toyota um den Titel des Branchenprimus kämpft. Sondern vielleicht einer jener einst stolzen europäischen Hersteller, über deren Geschick ausländische Eigentümer entscheiden, wie bei Volvo, Rover oder Seat. Oder ein Anhängsel der Porsche-Protzer aus Zuffenhausen.

Keine Frage, Dein einstiger Ziehsohn Martin Winterkorn hat sehr viel zum heutigen Glanz von VW beigetragen – aber wer hat ihn zum Chef gemacht? Das warst Du! Du wirst schon Deine Gründe haben, warum Du Deinem Winterkorn nicht mehr zutraust, Dein Werk zu vollenden. Wobei das schon das falsche Wort ist, wie Du am besten weißt.

Ein Konzern kann niemals vollendet sein; immer wieder muss er sich neu erfinden, muss voranschreiten, vor allem technologisch. Wer sich auf seinen Erfolgen ausruht, fällt zurück. Und wird bald der Gejagte sein. Was wäre denn, wenn die Neureichen aus Kalifornien sich nicht auf blinkende Bildschirme beschränkten, sondern in die Autowelt aufbrächen? Das wäre ein Schock für die Wirtschaft in Deutschland – viel erschütternder als die derzeit aufgeregt diskutierte Frage, ob ein Herr W., ein Herr X., ein Herr Y. oder ein Herr Z. Chef von Volkswagen ist. Das weißt Du, und deshalb wirst Du, wie versprochen, „die Richtigen“ wählen für die Zukunft, die die Kraft haben zu klarer Führung.

Wie weise Du bist, zeigt sich schon daran, dass Du auf die Einführung einer privaten Frauenquote verzichtest. Ein leichtes wäre es Dir, Deine Ehefrau Ursula Piëch als Nachfolgerin zu installieren. Schließlich ist sie durch die harte Schule des VW-Aufsichtsrats gegangen, hat Fabriken und Messen besucht. Aber Du willst nicht durch Deine Frau regieren, sondern Du handelst wie ein Mann. Du führst jetzt Deinen letzten Kampf, nämlich den um Deine Erbfolge. Und wenn Du den gewonnen hast, dann ist es genug. Basta.

Doch in der harten Welt der Pferdestärken und Drehmomente geht es nicht nur um Geld und Ruhm, sondern auch um ehrliche Gefühle. Zum Beispiel Wut, die Rache gebiert. Wer wollte Dir verdenken, wenn Du eine in die Presse lancierte Indiskretion gesühnt haben wolltest, die Dich und Deine Gesundheit vor eineinhalb Jahren zum Gespött der Leute gemacht hatte? „Guillotinieren werde ich erst, wenn ich sicher weiß, wer es war“, hattest Du später gesagt. Bist Du Dir nun sicher?

Das Drama, das Dir zuliebe derzeit in Wolfsburg aufgeführt wird, führt uns vor Augen: Wenn es ein Mann ernst meint, kann er etwas bewegen. Und auch ein harter Knochen wie Du, dem das Wort „klare Kante“ ins Gesicht gezeichnet scheint, darf Gefühle zeigen. Gleichstellungspolitisch bewirkst Du damit – gewollt oder nicht, ist egal – viel mehr als ein Fußballbundestrainer, der für gesichtshauterweichende Kosmetika Werbung macht.

Und jetzt, liebes Geburtstagskind, darfst du die Kerzen auspusten! RICHARD ROTHER