WOLFGANG SCHÄUBLE ÜBER KÜNSTLER IN DER POLITIK
: Deutschlands postpubertäre Pickelhaube

VON MIGUEL SZYMANSKI

Letzte Woche schrieb der Bundesfinanzminister in der FAZ anlässlich des 200. Geburtstags Otto von Bismarcks einen Text mit erstaunlichen Einblicken in das Seelenleben des deutschen Politikers.

Abzüglich ein paar für Mittelstufenschüler interessanter Fakten („Geboren wurde Bismarck in ein Deutschland von 39 souveränen Staaten“), ist Schäubles Aufsatz die Rechtfertigung seiner eigenen Politik auf Flugblattniveau: Seitenhiebe gegen seine Gegner, Selbstbeweihräucherung und unterschwelliges Deutschtum. Beim Lesen schmerzten meine circa sechs germanischen Rippen vor Fremdscham.

„Nicht Deutschland besteht gegenüber Griechenland auf der Einhaltung der Regeln und Vereinbarungen – die Eurogruppe tut das geschlossen“. Hallo, Herr von Bismarck? Ja, und wofür hat Schäuble via vorgeschobene iberische Regierungen kein Verständnis? Dafür, dass die Griechen darauf bestehen, faul sein zu wollen: „Gerade im Moment ist bemerkenswert, wie etwa die Spanier und die Portugiesen, die sich angestrengt haben und bei denen es jetzt aufwärts geht, überhaupt kein Verständnis dafür haben, wenn andere es bequemer haben wollen.“

Bismarck, der im Gegensatz zu den meisten heutigen Zeitungslesern genau wusste, wie man Politik, Gesetze und Würste macht, wird stolz sein, wie souverän in seinem Namen alte Rechnungen mit dem Süden beglichen werden. Wenn Schäuble „die Spanier und die Portugiesen“ schreibt, meint er natürlich nicht die Spanier und die Portugiesen. Sondern die korrupten iberischen Politiker, die in der Hoffnung auf Posten in Brüssel nach den Wahlen diesen Herbst, seine Vorgaben eins zu eins umsetzen. Dafür zahlt die Bevölkerung mit extremer Verarmung in kürzester Zeit. Dass es aufwärts geht, ist schlicht unwahr.

Ich suche keine Antwort auf die Frage, ob ein Finanzminister nicht wichtigere Aufgaben hat, als 18.000 Zeichen für die FAZ zu schreiben. Dass er den Text wohl nur abgesegnet hat, macht die Sache nicht besser. Auch warum eine Zeitung etwas veröffentlicht, was woanders viel besser platziert wäre (Webseite des Finanzministeriums: „Im Rahmen unserer Öffentlichkeitsarbeit bieten wir Ihnen eine Reihe von Broschüren und Periodika an“), ist in Zeiten medialer Mogelpackungen nicht wirklich relevant.

Besorgniserregend wäre es aber, den Finanzminister von einer Kamarilla umgeben zu wissen, die in seinem Namen Halbwahrheiten veröffentlicht. Wie sonst könnte ein international als intelligent anerkannter Finanzminister schreiben: „Mir hat noch nie eingeleuchtet, dass die Wettbewerbsfähigkeit des einen in Europa der Schaden des anderen sein soll.“ Ökonomie-Nobelpreisträger nennen das, was Herrn Schäuble nicht einleuchtet, asymmetrische Schocks. Einfacher: Damit Deutschland weltweit exportieren kann, opferten korrupte Politiker in Südeuropa die ohnehin schwache Industrie ihrer Länder.

Am Ende wird Bismarck zum Maßstab der Eigenleistungen: „Bei allem Respekt, wir Heutigen machen unsere Sache auch nicht so schlecht.“ Lächerlicher als ein Soldat ist ein Narziss mit Pickelhaube. „In der Politik kommt es darauf an, in immer neuen Situationen den richtigen Weg oft mehr zu ahnen als zu kennen – eine Art Kunst eben“, schreibt Schäuble. Als hätte Europa nicht lange genug unter Künstlern in der deutschen Politik gelitten.

Der portugiesische Journalist Miguel Szymanski (Buch: „Ende der Fiesta. Südeuropas verlorene Jugend“) musste wegen der Eurokrise nach Deutschland auswandern. Er lebt jetzt in Frankfurt.