AMERICAN PIE
: Alt, aber wandlungsfähig

BASKETBALL Pünktlich vor Beginn der Playoffs präsentieren sich die San Antonio Spurs in Bestform. Das große Ziel, die erstmalige Titelverteidigung, scheint wieder möglich. Dabei hatten viele das betagte Team bereits abgeschrieben

Mitte der ersten Hälfte am Sonntagabend in der Arena von San Antonio war der Augenblick gekommen für ein Ausrufezeichen der gastgebenden Spurs. Und so hechtete ein 2,13 Meter großer 113-Kilogramm-Schrank mitten hinein ins Publikum der ersten Reihen. Den Ball wollte er um keinen Preis verloren geben. „Wir waren nicht besorgt, dass er sich verletzt haben könnte“, sagte Teamkollege Manu Ginobili danach, „wir waren eher sprachlos vor Erstaunen und Bewunderung.“

Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass sich ein Spieler im gehobenen Athletenalter von 38 Jahren so intensiv auf Tuchfühlung mit den Zuschauern begibt – wie es Tim Duncan so eindrucksvall tat. Duncan ist die Spurs-Ikone schlechthin und gemeinhin anerkannt als einer der besten Spieler aller Zeiten. Seine Aktion war nach schleppendem Beginn die Initialzündung zum 107:91-Sieg über die Phoenix Suns – und das nun wirklich allerletzte Zeichen: Pünktlich zum Ende der regulären Saison, wenn es in die Playoffs und ins entscheidende Rennen um die Meisterschaft geht, präsentiert sich der Titelverteidiger in Bestform. Der Erfolg war bereits der elfte Sieg in Serie, 21 der letzten 24 Partien wurden gewonnen.

Noch vor wenigen Wochen schien gar die Qualifikation für das Championat gefährdet – so sehr, dass der ewig grantelnde Trainerfuchs Gregg Popovich im März nach einer Niederlage gegen die chronisch schwachen New York Knicks wütete: „Es war widerlich, was wir heute hier geboten haben.“ Die Spurs hatten lange eine ungewohnt holprige Spielzeit geboten. Der Klub steht eigentlich für Konstanz in der sich so schnell verändernden NBA. Popovich ist seit 1996 im Amt und damit mit großem Abstand der dienstälteste Trainer aller vier großen US-Sportligen. 1997 kam Duncan nach Texas, 1999 konnte man die erste Meisterschaft zusammen feiern. Nur allzu oft in den letzten Jahren wurden die Spurs vor Saisonbeginn abgeschrieben. Es hieß, die Texaner seien zu alt, zu verbraucht und jungen Mannschaften überhaupt unterlegen. Das legendäre Spurs-Trio um Duncan, Ginobili (37) und Aufbauspieler Tony Parker (32) spielt seit 2002 zusammen.

Auch während der aktuellen Saison bestimmten andere Teams die Schlagzeilen: Die Golden State Warriors mit ihrem spektakulären Offensivbasketball. Die Houston Rockets dank der spielerischen Großtaten von Vorspieler James Harden – beide Klubs direkte Konkurrenten der Spurs, beide wurden zuletzt deutlich geschlagen.

Einen großen Anteil am jüngsten Erfolg hat zweifellos wieder Coach Popovich. „Er versteht es wie kein anderer, sich mit dem Spiel zu verändern – und uns mit“, erklärt Duncan. Die Mannschaft steht für unspektakuläres, aber effektives Teambasketball der alten Schule. Und es überzeugen derzeit nicht nur die erfahrenen Kräfte. Der 23-jährige Flügelspieler Kawhi Leonard, der schon in den letztjährigen Endspielen zum wertvollsten Akteur gewählt wurde, gehört bereits zu den zentralen Figuren im Team.

Die erstmalige Titelverteidigung ist das letzte große Ziel der Spurs. „Ich hatte schlaflose Nächte“, sagt Duncan selbst, „weil ich mir nicht sicher war, wen ich mir als unseren Gegner für die erste Playoff-Runde wünschen sollte.“ Schlaflose Nächte werden auch die Kontrahenten haben.DAVID-EMANUEL DIGILI