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„Unfähig zum Dialog“

ERINNERUNG Vortrag über die Aufarbeitung des Völkermordes an den Armeniern

Raffi Kantian

■ 69, ist Publizist und Vorsitzender der Deutsch-Armenischen Gesellschaft.

taz: Herr Kantian, was sind die Nachwirkungen des Völkermordes an den Armeniern?

Raffi Kantian: Die Nachwirkungen sind dramatischer Art. Das armenische Volk hat sich vor mehr als dreitausend Jahren auf dem Gebiet der heutigen Türkei entwickelt. Die armenische Kultur wird in der Türkei aktuell jedoch nicht akzeptiert und die Türkei weigert sich bis heute, den Völkermord als solchen anzuerkennen.

Bisher gab es von deutscher Seite nur eine indirekte Anerkennung des Völkermordes. Wie bewerten Sie das?

Der deutsche Fall ist besonders relevant. Das Kaiserreich war ein Kriegsverbündeter des Osmanischen Reiches. Seine Truppen waren unmittelbar vor Ort und haben nichts Entscheidendes unternommen, um dem Treiben ein Ende zu bereiten.

Und wo steht die deutsche Debatte?

Es hatten im April 2005 alle Fraktionen des Bundestages einen Völkermord an Armeniern klar benannt. Im offiziellen Beschluss vom Juni 2005 wurde dann jedoch zurückgerudert und erklärt, man wolle dem armenischen-türkischen Dialog nicht im Wege stehen.

Was ist die türkische Regierungspolitik gegenüber Minderheiten?

Die aktuelle Politik der AKP stellt eine leichte Verbesserung dar. Sie gibt enteignetes Eigentum zu einem Teil zurück. Ansonsten dürfen Armenier in der Türkei nach wie vor keine Richter, Staatsanwälte oder Offiziere werden.

Wie steht es um die armenisch-türkische Aufarbeitung des Völkermordes?

Die türkische Regierung ist völlig unfähig zum Dialog. Bei Teilen der Zivilgesellschaft ist das deutlich anders.

Was möchten Sie mit ihrer Erinnerungsarbeit erreichen?

Jeder Mensch hat ein Gedächtnis und möchte Erinnerung als Teil seiner Identität wachhalten. Wird jedoch versucht, diese Erinnerung mit staatlichen Mitteln zu unterdrücken – und davon sprechen wir hier –, dann ist es mein Recht, einen Gegenentwurf zu vertreten. Sonst ist diese Erinnerung weg. Das darf nicht passieren.  INTERVIEW: CHRISTOPH REIS

16 Uhr, Paradox, Bernhardtstr. 12

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