Jugendgewalt wird Wahlkampfthema

Vier Wochen Warnschussarrest, Trainingscamps, längere Strafen für Heranwachsende: Die Debatte um schärfere Sanktionen gegen gewalttätige Jugendliche nicht nur hinter Gittern entflammt nun auch in Niedersachsen und Hamburg

„Ich bin der akzeptierte Sprecher einer schweigenden Mehrheit von Deutschen“, sagte Hessens oberster CDU-Wahlkämpfer Roland Koch am Mittwoch zu seinem umstrittenen Vorschlag, das bundesgesetzliche Jugendstrafrecht zu verschärfen. Auslöser der Debatte war der Überfall auf einen Rentner in München, bei dem die beiden mutmaßlichen Täter, ein 20-jähriger Türke und ein 17 Jahre alter Grieche, das Opfer fast zu Tode prügelten. Der Mann hatte die Männer gebeten, in der U-Bahn ihre Zigaretten auszumachen. Nach der Attacke hatte Koch über „zu viele kriminelle junge Ausländer“ geklagt.  KSC

VON ELKE SPANNER
UND KAI SCHÖNEBERG

Kann „Wegsperren“ Probleme mit gewaltbereiten Jugendlichen lösen? Oder gar irgendein „Ende der Kuschelpädagogik“? Nachdem Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) härtere Sanktionen gegen Heranwachsende gefordert hat, entflammt die Debatte um die Verschärfung des Jugendstrafrechts nun auch in Niedersachsen und Hamburg, wo am 27. Januar beziehungsweise 24. Februar die neuen Landtage gewählt werden.

Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Jüttner wies Kochs Forderungen am Mittwoch zurück. Wer Verbrechensbekämpfung auf Sanktionen reduziere, liege falsch: „Das Ziel muss doch sein, eine sozial befriedete Gesellschaft zu haben und nicht eine geteilte Gesellschaft.“ Von solcher „Sozialrhetorik werden sich junge Mehrfachstraftäter nicht beeindrucken lassen“, entgegnete Bernd Althusmann, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion. Opferschutz gehe vor Täterschutz.

Auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) ist für eine „rigidere Handhabung“ des Jugendstrafrechts, „vor allem bei ausländischen Jugendlichen“, wie er einen Sprecher ausrichten ließ. Und seine Justizkollegin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) setzte sich erneut für die Einführung eines „Warnschussarrestes“ ein: Richter sollten die Möglichkeit erhalten, zu einer Bewährungsstrafe verurteilte Jugendliche bis zu vier Wochen in Arrest zu schicken. Das soll Jugendlichen den „Ernst der Lage“ vor Augen führen. Sie dürften nicht das Gefühl haben, ohne Sanktionen den Gerichtssaal zu verlassen.

Eine entsprechende Initiative unter anderem Niedersachsens habe der Bundesrat bereits 2003 verabschiedet, sagt Heister-Neumanns Sprecher Dennis Weilmann. Auch wenn FDP-General Stefan Birkner stört, dass „insbesondere das konservative Lager“ das Thema derzeit hochzieht“: Die Liberalen selbst haben damals einen Warnschussarrest, die stärkere Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende sowie die Anhebung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre unterstützt.

Von „ärgerlichem Wahlkampfgetöse“ spricht Ralf Briese. Die Forderungen der CDU seien „so alt wie falsch“, sagt der Justizexperte der Grünen im niedersächsischen Landtag. Jugendliche Straftäter vermehrt und länger wegzusperren bringe wenig. Stattdessen will Briese Hilfen für überforderte Eltern: „Gewaltprävention muss schon in den Kitas und Schulen beginnen.“

Für einen Warn-Arrest hat sich auch Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) ausgesprochen. Zudem appellierte er an die Jugendrichter, mehr Intensivtäter in „Trainingscamps“ zu schicken. Als Beispiel nannte er die Einrichtung des Ex-Boxers Lothar Kannenberg in Nordhessen. Dort werden Disziplin und Respekt großgeschrieben, die Regeln sind hart. Solche Camps, sagte Nagel, seien nicht zu verwechseln mit „Boot camps“ nach US-Vorbild: „Niemand will den Willen von jugendlichen Straftätern brechen“, erklärte Nagel. „Aber sie müssen lernen, dass es Grenzen gibt.“

Nachdem Anfang November der Sohn eines Bezirkspolitikers niedergestochen worden war, hatte Hamburgs Senat ein „Konzept“ gegen Jugendgewalt präsentiert. So soll etwa die Schulpflicht stärker durchgesetzt werden, und Lehrer sind verpflichtet, bestimmte Straftaten von Schülern anzuzeigen.

Der Senator glaube offenbar „nicht an die Wirksamkeit seines Konzeptes“, kritisiert Antje Möller, Innenexpertin der Hamburger Grünen: Noch ehe es umgesetzt sei, komme Nagel schon wieder mit der Jugendcamp-Idee. Nach einer Einzeltat „eine neue Maßnahme aus dem Hut zu ziehen, zeugt vom Fehlen der Verlässlichkeit, die für Prävention und Fürsorge notwendig wäre“, sagt Möller.

Bei der Bekämpfung der Kriminalität von Jugendlichen, die bereits im Gefängnis sitzen, haben Hamburg und Niedersachsen in ihren gerade in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetzen einen umstrittenen Weg gewählt: Hier wie dort gibt es nun den so genannten „Chancenvollzug“. In den Genuss von dessen Vollzugslockerungen und Förderung kommen nur „kooperative“ Jugendliche. Fachleute sprechen von einem „Chancenversagungsvollzug“, denn gerade mit schwierigen Jugendlichen müsse intensiv gearbeitet werden. „Je restriktiver der Vollzug“, sagt etwa der Kriminologe Peter Wenzel von der Universität Hamburg, „desto höher ist die Rückfallquote.“

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