die taz vor 18 jahren über den bequemen antifaschismus der sed
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Das Erschrecken über die Schändung des Sowjetischen Ehrenmales in Treptow, über die Verwüstung des Ehrenhaines, über neofaschistische Parolen in der DDR ist nur zu gerechtfertigt. Nichts verständlicher, als daß dagegen protestiert und demonstriert wird. Die SED, die dazu aufrief, dürfte nachgerade auf eine gesamtdeutsche Zustimmung hoffen. Aber so, wie sie aufrief, hat sie nicht einmal im Ansatz eine Einigkeit unter den DDR-Parteien und Gruppen erreicht. Stattdessen gibt es einen gehässigen Erbschaftsstreit zwischen SED und SDP um die antifaschistische Tradition. Es sind die Nebentöne, die mißtrauisch machen. Da kündet das Fernsehen nicht von einer Demonstration, sondern gleich von einer „Kampfdemonstration“. Da wird eine „Einheitsfront gegen rechts“ gefordert. Da liegt der Verdacht der SDP nahe, hier werde ein Spiel mit der Angst betrieben. Der Antifaschismus als Legitimation des realsozialistischen Staates ist ruiniert. Als Rechtfertigungsideologie hat er vor allem eines verhindert: eine wirksame Auseinandersetzung mit den rechten Tendenzen im eigenen Land. Antifaschismus als Legitimation im Wahlkampf macht die SED nicht glaubwürdiger, dafür aber den Antifaschismus unglaubwürdig. So, wie die SED gegen die Gefahr von rechts trommelt, ist genau dies zu befürchten. Da die Partei nach wie vor ratlos den Scheiterhaufen ihrer stalinistischen Vergangenheit anstarrt, ist der Weg gewiß verführerisch, sich um einen sicheren Kern einer unveräußerlichen Identität zu scharen. Antifaschismus als Wagenburgmentalität und Wahlkampf als Abwehrkampf, das wäre der bequemste und fatalste Ausweg aus der unbewältigten Gegenwart der Partei. Zu reden aber wäre über den hausgemachten DDR-Rechtsradikalismus. Wenn jedoch die SED einen Wahlkampf für eine DDR-Souveränität als Kampf gegen die Schönhubers betreiben will, demagogisiert sie – und schiebt einen Teil der DDR-Bevölkerung nach rechts.

Klaus Hartung, taz 3. 1. 1990