Und plötzlich wird alles anders

Große Erwartungen, saturierte Verdorbenheit und 9/11: Claire Messuds „Des Kaisers Kinder“

Dies ist – und das, obwohl er darin vorkommt – kein Roman über den 11. September. „Des Kaisers Kinder“ von Claire Messud erzählt von drei Absolventen einer New Yorker Elite-Universität, die mit dreißig plötzlich feststellen, dass ihre hochtrabenden Vorstellungen von Leben, Liebe und Beruf reine Vorstellungen geblieben sind. Marina, Tochter des liberalen Meinungsmacher-Journalisten Murray Thwaite, möchte „irgendwas Wichtiges“ machen, nur keinen Job suchen, aus Angst, „dass ich dann so mittelmäßig werde wie alle anderen“. So quält sie sich an einem belanglosen Buch über Kindermode, das sie mit Anfang zwanzig mal enthusiastisch begonnen hat. Ihre Freundin Danielle, immerhin, hat einen Job beim Fernsehen, aber auch der erfüllt sie nicht, denn mit Dokumentationen über die Situation der Aborigines kommt sie beim Sender nicht durch und soll stattdessen über Todesfälle beim Fettabsaugen berichten. Und Julius schreibt scharfzüngige Kritiken für die Village Voice, aber weil man davon natürlich nicht leben kann, versucht und verliert er sich in der Rolle der „Vorzeige-Ehefrau“ an der Seite seines erfolgreichen Freundes.

Die Geschichte läuft so vor sich hin wie das Leben der drei, mit gekonnt ineinander verwobenen Perspektiven und in einem amüsant-unterhaltsamen Ton, der durchaus Spaß macht. Hier ein Telefonat, da ein Gespräch beim Lunch, Julius geht fremd, Marina heiratet, und Danielle fängt eine Affäre mit Marinas Vater an – und erst im achtundfünfzigsten von siebenundsechzig Kapiteln stürzen die Türme ein.

Danach ist vieles anders. Und leider gar nicht überzeugend. Denn dass die Anschläge passieren, scheint eher dramaturgisch motiviert als aus dem Bedürfnis einer ernsthaften Auseinandersetzung. Tatsächlich übernehmen die brennenden Türme die Funktion eines Deus ex Machina: als Wende für eine Handlung, die so nicht hätte weitergehen können. Im negativen Sinn freilich, die Fäden werden nicht entwirrt, sondern gekappt. „Eine solche Katastrophe gibt einem zu denken. In einer Familie sollte kein Streit herrschen“, schluchzen sie. Und ein Mann sollte seine Frau nicht betrügen, eine Frau nicht mit dem Vater ihrer besten Freundin schlafen und eine Familie ihren Neffen nicht verstoßen, nur weil der in jugendlichem Idealismus zum Nestbeschmutzer wird. Und so lassen sie es.

Natürlich verschieben sich angesichts eines derartig unfassbaren Ereignisses die Maßstäbe, und was bislang von Bedeutung war, wird nichtig. Aber der Verdacht, dass hier manches nur passiert, damit anderes deutlich wird, schwelt zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich lange. Vorher gab es schon den Zeitschriftenmacher Ludovic Seeley – mehr personifizierte Mediensatire denn konsistente Figur –, der mit „kulturellen Enthüllungsstorys“ den Markt „revolutionieren“ und all diese Murray-Thwaite-Schwadroneure auffliegen lassen wollte. Und auch Murrays Neffe „Bootie“ ist eher ein Stilmittel: ein dicker Neunzehnjähriger, der Emerson als Lebensberater liest, sich die denkende Gesellschaft erträumt als „eine Gruppe von Menschen aller Altersklassen, redend, lachend, rauchend, lauschend, wie in Madame de Staëls Salon“, und der sich am Ende auch noch eine neue Identität zulegt: Ulrich New, nach Musils „Mann ohne Eigenschaften“.

Vor dieser reinen Seele leuchtet die saturierte Verdorbenheit des sich selbst überhöhenden Kulturzirkels natürlich hell auf. Das aber hätte sie auch ohne verstärkendes Beiwerk getan. Denn bei den Hauptfiguren gelingt es der Autorin, aus kleinen, fein beobachteten Gesten eine glaubwürdige Komplexität zu entwickeln. Schade, dass sie auf die Kraft dieser Charaktere nicht mehr vertraut hat. LAVINIA MEIER-EWERT

Claire Messud: „Des Kaisers Kinder“. Aus dem Amerikanischen von Sabine Hübner. DVA , München 2007, 542 Seiten, 24,95 Euro