: Die Sterne stehen auf Krieg
Barockes Welttheater und die Nachrichten vom Tage am HAU: Johan Simons’ rundes Stück „Das Leben ein Traum“ handelt vom Traum der Aufklärung. „Breaking News“ von Rimini-Protokoll zeigt, wie banal uns die Nachrichten die Welt inszenieren
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Zu den schönsten Theaterabenden am HAU gehören die Gastspiele des Regisseurs Johan Simons. Mit seiner Inszenierung von Calderóns „Das Leben ein Traum“ begann im Hebbel-Theater das neue Jahr, das hundertste in diesem Haus. Am nächsten Abend gefolgt von einer Premiere im HAU 2 von Rimini Protokoll, „Breaking News“, einer Recherche über die Abendnachrichten und ihren Zugriff auf die Welt. Gerade in ihrer Unterschiedlichkeit sind beide Stücke typisch für die Spannbreite dessen, was am HAU geleistet und versucht wird.
Wenn Simons’ Stücke ins HAU kommen, liegt ihre Premiere oft ein, zwei Jahre zurück. Das nimmt ihnen aber nichts von einer Präsenz, die auf der unmittelbar hergestellten emotionalen Verbindung mit den Schauspielern beruht. In „Das Leben ein Traum“, 2006 für die RuhrTriennale mit den Schauspielern des NTGent inszeniert, berührt einen von Anfang an eine sanfte, traumtänzerische Melancholie. Dazu trägt sicher die akustische Untermalung durch die Musiker bei, die, mit Gamben und Klarinetten auf der Bühne sitzend, den Hofstaat des Königs Basilius vermehren und seine Angst mit klagenden und zagenden Lauten begleiten.
Er übt eine Rede, in der er von Sigismund, dem Thronerben, erzählen will, den er bislang aus Angst vor einer dunklen Prophezeiung in einen Turm verbannt hat und nun doch, der lange unterdrückten Sehnsucht nach dem Sohn endlich nachgebend, wieder zurückholen will. Wenn er jedes seiner Worte sucht und vorsichtig hineinhorcht, welche so lange verdrängten Bilder in ihnen wohnen, ahnt auch der Zuschauer gleich die ganze Vorgeschichte dieses müden und traurigen Königs.
Die Schauspieler des Genter Ensembles spielen auf Deutsch, mit einem winzigen Akzent. Der trägt zu dem tastenden Sprachduktus bei, der die Austauschbarkeit von Traum und Wirklichkeit, Schauspiel und Wahrheit stetig mittransportiert. Die Geschichte von Sigismund, dem so lange Verbannten, schrammt nur knapp an einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung vorbei. Er bringt den Krieg, den ihm die Sterne voraussagten. Er, dem die Menschen vorenthalten wurden, kommt nun wie ein Tier unter sie, mit all seinem ungezügelten Begehren. Er wird wieder verbannt und dann von Aufständischen befreit, die voll Zorn auf den ungerechten König sind. In dem entbrennenden Bürgerkrieg fliegen Stoffpuppen ohne Köpfe über die Bühne. Und mitten in diesem wogenden Tumult kommt Sigismund, der bis dahin alle Foltergriffe einer schwarzen Pädagogik über seinen an eine Bahre gefesselten Leib ergehen lassen musste, zur Vernunft und verzeiht seinem Vater – denn in dessen Angst vor dem Monstrum erkennt er die eigenen Ängste wieder.
Dieses Schauspiel ist eine Sache, so rund, wie man es kaum noch für möglich hält. Mit kleinen Gesten nur zitiert sie das Wissen herbei, dass der Traum von Aufklärung und freiwilliger Vernunft als Illusion noch immer besser denn als Wirklichkeit funktioniert. So kramt der Führer der Aufständischen, als letztes Mittel, Sigismund von der Versöhnung mit seinem Vater abzubringen, ein schönes Poster von Fidel Castro hervor. Wenn er am Ende in den Turm gesperrt wird, an die Stelle dessen, den er befreite, weiß man, dass aller Versöhnung zum Trotz die Ungerechtigkeit weitergeht.
Das ist eine alte Geschichte und doch, wie „Breaking News – Ein Tagesschauspiel“ am nächsten Abend im HAU zeigen will, noch immer der Kern vieler Nachrichten. Hans Hübner, ehemals Afrikakorrespondent der ARD (1992–1997), hat in dieser Versuchsanordnung die Rolle übernommen, einen der ältesten Texte der teilnehmenden Beobachtung an einem Krieg, „Die Perser“ von Aischylos, zum täglichen Strom der Nachrichten in Bezug zu setzen. Und noch bevor er die Verbindung explizit hergestellt hat, ahnt man, dass es die Bilder aus Kenia sein werden, von flüchtenden und um ihr Leben fürchtenden Menschen, mit denen die Koppelung versucht wird. Vom Theater der Antike zum Nachrichtenwesen heute: es ist ein langer Weg, den Helgard Haug und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll in ihrem jüngsten Projekt einschlagen, und oft scheint die Richtung zwar markiert, die Entfernung aber noch nicht überwunden. Doch trotz aller Lücken, die der skizzenhafte Abend bei der Premiere hatte, war eines schon überraschend deutlich. Indem sie über Nachrichten erzählen, also jenes Kerngeschäft der Massenmedien, das weit entfernt von der Öffentlichkeit des Theaters zu sein scheint, erzählen sie auch über das Theater selbst.
Doch darüber legt sich ein zerfleddertes Bild, bestehend aus sieben und mehr Nachrichtensendern, deren abendliche News live und aktuell parallel geschaut und dann von Dolmetschern und Journalisten kommentiert werden. Dazu gehören die „Tagesschau“, mindestens 10 arabischsprachige Formate, Pentagon live aus dem Weißen Haus mit Gymnastikprogramm zur Truppenertüchtigung, ein isländischer Sender, der stets mit einer guten Nachricht aufhört, ein russisches Programm, das gerne mit Putin privat die Nachrichten beendet. Man erfährt viel über einseitige Perspektiven, darüber, wie die Auswahl der Nachrichten die Weltsicht steuert, und über verblüffend banale Strickmuster der TV-Inszenierung. Aber noch wirkt das weniger wie eine Medienanalyse, sondern eher wie eine ungeordnete Materialsammlung.
Die Mitspieler, die Rimini Protokoll diesmal gewinnen konnte, sind Nachrichtenprofis: als Cutterin, Medienkritiker, Newsbroker einer Agentur. Darüber hinaus haben vor allem die Dolmetscher interessante Biografien und sind selbst politisch aktiv: Gerade dass sie ihre Perspektive kenntlich machen, erhöht den Reiz ihrer Kommentare. Vor allem technisch kämpft der Abend aber noch mit vielen Schwierigkeiten, sodass die Bilder dauernd ihren Kommentatoren weglaufen und zu viele Sätze im Lärm untergehen. Letztendlich aber auch ein stimmiges Bild: dass im Rauschen des Mediums die Teilnahme untergeht.
Rimini Protokoll, wieder 8. bis 10. und 12. Januar im HAU 2
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