Doppelter Warnschuss

Die 15-jährige Marcuta C. sitzt nach mehrfachen Diebstählen seit Wochen in Untersuchungshaft. Für das Gericht kommt eine Unterbringung in einer Jugendhilfeeinrichtung nicht in Frage: Das Mädchen habe sich mehrfach einem Verfahren entzogen

von FRIEDERIKE GRÄFF

Festgenommen hat man die 15-jährige Marcuta C. am 8. November letzten Jahres, am 9. November wurde der Haftbefehl verkündet, seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Vechta. Zur Last gelegt werden ihr mehrfache Diebstähle, laut Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung beläuft sich die Schadenssumme auf 1.000 Euro.

Das Jugendgerichtsgesetz schreibt enge Richtlinien für die Verhängung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen vor, insbesondere wenn sie jünger sind als 16 Jahre. In diesem Fall darf sie nur dann angeordnet werden, wenn sich der Betreffende entweder „dem Verfahren bereits entzogen hat oder Anstalten zur Flucht getroffen hat“ oder aber „im Geltungsbereich dieses Gesetzes keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt“ hat.

Nach Auskunft des Sprechers des Amtsgerichts Hannover, Ulrich Kleinert, war im Fall von Marcuta C. beides gegeben. Das Mädchen sei in der Vergangenheit schon mehrfach festgenommen worden und habe dann falsche Angaben gemacht. So sei unter den Telefonnummern, die sie als diejenige ihrer Verwandten ausgegeben habe, niemand erreichbar gewesen, außerdem habe sie mehrfach Krankheiten und epileptische Anfälle vorgetäuscht, das letzte Mal bei ihrer Festnahme im November letzten Jahres.

Außerdem habe Marcuta C., die rumänische Staatsbürgerin ist und von Seiten eines Elternteils Roma, keinen festen Wohnsitz in Deutschland. „Bis jetzt hat sie nicht gesagt, wo ihre Eltern sind“, sagt Ulrich Kleinert. Auf dieser Grundlage sei es schwierig vorstellbar, dass sich Marcuta C. dem pädagogischen Konzept einer Einrichtung der Jugendhilfe anpasst. Berichte, wonach Marcuta C. zu einer Kinderbande gehöre, die gezielt zu Einbrüchen geschickt würde, konnte der Gerichtssprecher nicht bestätigen. „Der Verdacht steht im Raum, es gibt bislang aber keinen Nachweis.“

Das Land Niedersachsen verfolgt nach Angaben des Justizministeriums bereits seit Jahrzehnten ein Konzept zur Vermeidung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen. Die Stadt Hannover arbeitet dabei mit vier Trägern zusammen: Stepkids und dem Stephansstift in Hannover, dem Albert-Schweitzer-Familienwerk in Lüneburg sowie der Präzeptorei im Thüringischen Schönberg. Der Aufenthalt dort muss jedoch von einem Jugendrichter angeordnet werden.

Dass dies im Fall von Marcuta C. nicht möglich war, betont auch der Sprecher der hannoverschen Staatsanwaltschaft, Thomas Klinge. Da das Mädchen bereits wenige Tage nach seiner ersten Festnahme wieder bei einem Einbruch aufgegriffen wurde, bliebe „irgendwann nichts anderes übrig“. Die von anderen Medien genannten Fälle von jugendlichen Intensivstraftätern im Raum Hannover, die zu Hause auf ihren Prozess warten durften, seien mit dem von Marcuta C. nicht zu vergleichen: „Sie haben einen festen Wohnsitz und sie haben ihre Taten eingeräumt – dann liegen keine Haftgründe mehr vor.“

Im Prozess wird Marcuta C., für die die Stadt Hannover jetzt die Fürsorgeschaft übernommen hat, von Rechtsanwalt Christoph Rautenstengel vertreten. Der rechnet mit einer Entlassung seiner Mandantin „noch in dieser Woche“. Dies nehme auch der langen Untersuchungshaft die „Brisanz“. Rautenstengel zieht die Anordnung der Untersuchungshaft nicht in Zweifel. „Er ist ein sehr erfahrener Jugendrichter, dem kein Vorwurf zu machen ist.“ Die Haftzeit übersteige jedoch bei weitem den viel diskutierten Warnschussarrest, der „mit gutem Grund vier, nicht acht Wochen vorsieht“. Bei inhaftierten Jugendlichen sei es wünschenswert, dass der Prozess innerhalb von vier Wochen stattfinde.

Die Gründe für die lange Untersuchungshaft sieht Rautenstengel in bürokratischen Hindernissen: So dauerten Verfahren zwischen den Jahren ohnehin länger, zudem müssten die Akten ans Familiengericht geschickt werden, erst danach kann Anklage erhoben werden: „Da greift ein Zahnrad ins andere“. Dabei müssen Verfahren bei Jugendlichen, die in Untersuchungshaft sitzen, laut Gesetz mit besonderer Beschleunigung geführt werden. Laut Gericht lag die Anklage erstmals am 11. Dezember vor. Dass die Hauptverhandlung erst am 9. Januar stattfinden kann, habe daran gelegen, dass „der Verteidiger nicht früher konnte“.